5.16 Der Hoisbauer als Schatzgräber
Früher glaubten die Leute, dass im Grimming ungeheure Goldschätze verborgen seien. Viele versuchten immer wieder ihr Glück und gruben mal hier, mal da nach den Schätzen. Einer der eifrigsten unter den Goldsuchern war der alte Hoisbauer. Obwohl er von allen seinen Nachbarn ausgelacht und verspottet wurde, glaubte er doch steif und fest, irgendwann zum heißersehnten Ziele zu kommen. Zehnmal konnte ihm der Duckbauer sagen: „Nit zehn Fisolen kriegst, nit zehn Fisolen!“ Der Hoisbauer gab seine Hoffnung nicht auf, ebenso wenig sein Forschen und Grübeln.
Damit hatte es seine eigene Bewandtnis.
Alle Jahre einmal kam ein Mann ins Tal, beinahe ärmlich gekleidet und einen leeren Lederranzen auf dem Rücken tragend. Nach seiner Aussprache und seinem Äußeren war er als Welscher, das ist ein Italiener, zu erkennen. Dieser Mann kehrte nie in einem Wirtshaus ein, sondern übernachtete stets beim Hoisbauern, wo er gern gesehen und gut bewirtet wurde. Der Italiener hielt sich nie lange in Hinterberg auf. Nachdem er einen Gang auf den Grimming gemacht und dort seinen Ranzen mit Gold gefüllt hatte, reiste er wieder ab. Dieser Italiener wusste eben die Zeit genau, wann die Bergmandln die Goldbrünndln öffneten. Nie nahm er von den Schätzen mehr, als er für ein Jahr brauchte und noch einen Notgroschen dazu.
Der Hoisbauer hoffte immer, er werde dem Welschen sein Geheimnis entlocken, aber darin irrte er sich. Der Italiener war auf der Hut und verriet mit keinem Wort, an welchem Platz und in welcher Zeit das Gold zu finden sei, obwohl ihn der Hoisbauer häufig und dringend darum bat.
„Ja, wenn es noch ein Einheimischer wäre, könnte man es ihm schon eher vergönnen; aber einem Ausländer, nein, dem vergönn‘ ich’s nicht, der soll nur zu Hause bleiben!“, so sprach in seinem Herzen der Neid. „Ausserdem ist der Welsche auch noch dazu erzdumm. Warum nimmt er nur so viel, als er für ein Jahr braucht? Ich wär‘ schon gescheiter; ich nähme so viel, als ich tragen könnt‘ oder führe gleich mit einem Paar Ochsen die Schätze heim. Aber der! Und ganz schäbig und zerlumpt ist sein Gewand, armselig seine Nahrung und um die Nachtherberge bettelt er“, so grübelte er weiter.
Der Italiener schien aber sogar die Gedanken seines Wirtes zu kennen. Eines Tages sagte er: „Bauer, warum bist du mir neidig um mein Geheimnis?“ „Nein, neidig bin ich nicht, das schon gar nicht; aber wissen möchte‘ ich doch gern, wo ein Schatz liegt“, antwortete der Hoisbauer.
„Was würdest du mit dem vielen Geld anfangen?“ fragte der Welsche. „Oh, ich tränke alle Tage ein Gläschen Schnaps.“ „Und dann?“ „Dann würde ich mir ein großes Gut kaufen, einen großen Viehstand anschaffen, viele Dienstboten halten und den ganzen Tag gut essen und trinken.“ „Und weiter?“ „Weiter? Ja, das weiß ich selber nicht.“
„Glaube mir, mein Freund,“ sprach der Welsche, „Geld und Gut allein machen nicht glücklich. Suche du dein Glück zu finden in ernsthafter Arbeit und in einem guten Gewissen, und du wirst es erhalten und es wird bei dir bleiben alle Tage deines Lebens. Du kannst nicht einen großen Schatz regieren, mein Freund, sondern das Geld würde dich regieren; und aus dem Grunde darf ich dir vom Grimming zu keinem verhelfen. Frage nicht weiter, ich darf nicht mehr sagen, wenn es uns beiden nicht sehr schlimm ergehen soll. Nur so viel darf ich dir mitteilen, daß ich selbst nie mehr nehmen darf, als ich für eine bestimmte Zeit brauche.“
Als der Fremde im folgenden Jahre wieder kam, wollte der Hoisbauer schon hinter das Geheimnis kommen. Er hatte die gutgemeinten Worte des Welschen bereits völlig vergessen und die Sucht nach Geld und Gut nahm ihn gänzlich gefangen. Als der Italiener am Morgen seinen Gang in das Gebiet der Wunderbrünnlein unternahm, schlich ihm der Hoisbauer vorsichtig nach. Anfangs ging die Sache ganz gut und schon frohlockte heimlich der Bauer. Da auf einmal war der Welsche seinen Blicken entschwunden und der Hoisbauer stand allein mitten im Wald. Jetzt gab er seine Vorsicht auf; er kroch durch dick und dünn, fand aber keine Spur mehr von dem Welschen. Endlich sank der Abend nieder. Missmutig wollte sich der Hoisbauer auf den Heimweg machen, aber er konnte gehen und immerfort gehen, der Wald schien kein Ende zu nehmen. Die ganze Nacht irrte er im Wald herum, ebenso den folgenden Tag und die zweite Nacht. Endlich gegen Abend des dritten Tages sah er die rauchenden Schlote des Hammerwerkes von Grubegg (wo sich heute der Salzastausee befindet) und jetzt fand er sich wieder zurecht.
Seinen vertrautesten Freunden erzählte er später sein Missgeschick. Diese meinten, er sei entweder auf eine Irrwurzel getreten oder der Welsche habe ihn mit seinen schwarzen Künsten herumgenarrt; der Hoisbauer behauptete jedoch steif und fest, ein Berggeist habe ihn kreuz und quer geführt; denn er habe ja in der Nacht oft ein heimliches Lachen und Flüstern, ein seltsames Raunen und Rufen vernommen.
Von diesem Zeitpunkt an wagte es der Hoisbauer nicht mehr, den Welschen mit Fragen zu belästigen.
Als der Italiener schon alt und gebrechlich wurde, sagte er eines Tages: „Heut‘ bin ich zum letzten Mal hier. Was ich für meine Lebenszeit, die nur noch nach Wochen zählt, brauche, das trag‘ ich in meinem Ranzen und mehr verlange ich nicht. Du bist immer so gut und freundlich mit mir gewesen und aus Dankbarkeit würde ich dir gerne zeigen, wie du die Schätze des Grimmings heben könntest. Dadurch jedoch würden nicht nur wir zwei allein höchst unglücklich, sondern auch viele Hinterberger würde ich ins Unglück stürzen.“
„Brauch nichts vom Grimming, gar nichts!“ versetzte trotzig der Hoisbauer. Kleinlaut setzte er jedoch bei: "Wenn ich nur an einem anderen Platz einen Schatz wüsst‘, gern würde ich...“ Was er noch hinzusetzen wollte, verschwieg er.
„Warte bis morgen. Vielleicht kann ich dir einen zeigen,“ entgegnete der Welsche.
Der Hoisbauer konnte in der folgenden Nacht kein Auge schließen. Ruhelos wälzte er sich in seinem Bett herum, bange Zweifel marterten sein Gehirn, frohe Hoffnungen ließen dann wieder seine Pulse schneller klopfen und mit einer großen Sehnsucht erwartete er den folgenden Morgen.
„Hast du einen gefunden?“ fragte er den Welschen, als dieser aus der Kammer trat. „Ja, ich weiß einen“, sprach der Fremde. „Er liegt sogar auf deinem eigenen Grund und Boden und deshalb darfst du ihn erwerben.“
„Und wo, wo liegt er?“ fragte beinahe atemlos der Bauer. „In deiner Halt (Anm.: Bezeichnung für eine meist von Wald umgebene etwas weiter vom Heimathof entfernt gelegene eingezäunte Weide, jedoch keine Alm)“, antwortete der andere kurz.
Der Hoisbauer machte vor Freude einen Luftsprung, denn er meinte, er habe den Schatz bereits in der Tasche.
„Freu dich nicht zu früh!“ mahnte der Welsche. „Es ist noch sehr ungewiss, ob du ihn bekommen kannst. Bei dem Schatz liegt nämlich ein geladenes Gewehr und wenn dieses losgeht, musst du dort als Hüter bleiben bis zum Ende der Zeiten oder bis einer so glücklich ist, den Schatz zu heben.“
„Die Büchse fürcht‘ ich nicht, werd‘ schon achtgeben darauf“, jubelte der Bauer.
„In deiner Halt steht neben der Hütte eine große Lärche. Wohin ihr Wipfel am Sonnwendtag um zwölf Uhr mittags den Schatten wirft, dort liegt der Schatz. Aber nur in der Nacht nach dem Johannistage kann er gehoben werden. So, du weißt genug; mehr darf ich auch nicht ausplaudern. Und somit behüt dich Gott und gib auf die Büchse acht.“ So sprach der Fremdling und ging traurig davon.
Am Sonnwendtage stand der Hoisbauer schon in frühester Morgenstunde neben dem glückverheißenden Baum. Um ja nicht die Mittagsstunde zu versäumen, sah er alle Augenblicke nach der Uhr, die er sich am Vortag noch genau gestellt hatte. Endlich kam die so sehnlichst erwartete Sekunde. Sogleich markierte er den Platz, wohin der Wipfel des Baumes seinen Schatten warf.
In der folgenden Nacht grub er beim Schein des Vollmondes aus Leibeskräften, ohne auf die grauenerregenden Stimmen zu achten, die er rings um sich zu hören glaubte und ebensowenig auf das geladene Gewehr, das beim Schatz liegen sollte. Als er schon ziemlich tief gegraben hatte, sprang plötzlich ein kohlschwarzer Hund, dessen Augen Funken sprühten und aus dessen Mund Feuer flammte, aus dem Loch. Weiteres wartete der Schatzgräber nicht ab; eiligst rannte er davon.
Am anderen Tag ging er wieder hinaus in die Halt, aber er fand weder das Loch, das er gegraben hatte, noch eine Spur seiner nächtlichen Arbeit. Spaten und Schaufel lehnten am Lärchbaum.
Ein volles Jahr musste nun der Hoisbauer auf die Erfüllung seines Wunsches warten. In der Johannisnacht des folgenden Jahres grub er wieder am gleichen Ort, den er tagsvorher genau mit einem Pflock gekennzeichnet hatte. Diesmal war er glücklicher, denn bald traf er auf eine große, hölzerne Truhe. Er schlug den Deckel derselben ein und beim Schein einer Laterne funkelten ihm unzählige Goldstücke entgegen. Kurze Zeit weidete er sich am Anblick des Goldes, dann lief er schleunigst fort, um einen Wagen zu holen. Als er damit zurückkam, war alles verschwunden, sogar die Grabwerkzeuge waren dahin.
Alles Jammern und Klagen war nutzlos. Seine Habgier ließ ihn nicht mit wenigem zufrieden sein und so musste er zu seinem größten Leid auch noch ständig das Bewusstsein mit sich herumtragen, einen Schatz, den er mit leichter Mühe hätte erlangen können, nicht gehoben zu haben.
Er grub wohl noch einigemal, jedoch stets vergebens; die Truhe war und blieb verschwunden. Aber noch einmal lächelte ihm das Glück.
Der Gimpel Lipp hatte in Erfahrung gebracht, dass im Hallbachsee ein Schatz vergraben liege (Anm.: dieser kleine See lag im Hallbachgraben, unweit der „Kraglhütte“ im Kemetgebirge und ist jetzt vollständig verlandet, nur ein paar leicht schwefelhaltige Quellaustritte sind bei genauerer Untersuchung noch auszumachen). Er getraute sich jedoch nicht, das Wagnis des Schatzhebens auf eigene Faust zu unternehmen, deshalb bat er den Hoisbauern und dessen Nachbarn, den Duckbauern, um ihre Mithilfe. Ersterer war sofort zum Mithalten bereit, letzterer jedoch hatte Bedenken. Erst als der Lipp mit einer Wünschelrute daherkam, ließ er sich überreden und ging mit. Das Wasser des Sees wurde abgeleitet und der Boden trocken gelegt. Nun kam die Wünschelrute zum Einsatz. Diese zeigte immer genau in die Mitte des Sees, man konnte sie wenden, wie man wollte und das war ein untrügliches Zeichen, dass dort ein Schatz vergraben sein musste. Tatsächlich trafen die drei nach längerem Graben auf eine eiserne Kiste, an welcher starke Eisenringe befestigt waren. Stillschweigend arbeiteten die Schatzgräber weiter, denn das Reden ist bei solchen Beschäftigungen streng verboten. Schon wollten sie die Kiste an den Ringen ergreifen und herausheben, da rief der Gimpel Lipp voll Freude aus: „Ha, jetzt haben wir sie!“
In diesem Augenblick aber versank die Kiste und alles weitere Suchen und Graben war vergebliche Mühe. Selbst die Wünschelrute versagte ihren Dienst. Die beiden anderen hätten den Lipp am liebsten in Stücke gerissen.
Diese wiederholt misslungenen Versuche entmutigten den Hoisbauern keineswegs; sie bestärkten ihn vielmehr nur im Glauben, dass er es schließlich irgendwann durch Schatzgraben zu Reichtum und Wohlstand bringen werde. Vorsichtig spähte er zur Nachtzeit nach geheimnisvollen Flämmchen und Zeichen, horchte nach sonderbaren Lauten und Klängen, dachte über alte Sagen und Märchen nach und grübelte über seine Pläne. In wahrhaft sinnloser Aufregung verbrachte er jene Stunden, in welchen man, nach der Meinung des Volkes, am leichtesten das große Heer der Geister und Gespenster bezwingen und Schätze in seinen Besitz bringen könne. In der Johannis- und Thomasnacht, sowie in den „goldenen Samstagnächten“ und den „Rauhnächten“ schloss er kein Auge. In solchen Zeiten stand er, ausgerüstet mit Haue und Schaufel und Zaubersprüche murmelnd, bald hier, bald dort emsig schaffend und grabend. Was er jedoch zutage förderte, waren nur Steine und Schutt.
Sogar ein Zauberbuch wusste er in seinen Besitz zu bringen. So große Hoffnungen er auch auf dasselbe setzte, so wenig nützte es ihm; denn er kannte außer der Jahreszahl nichts als die zwei Buchstaben I und G (Anm.: der Schreibname der Hoisbauernfamilie lautet Geweßler!), die Anfangsbuchstaben seines Namens. Dass er aber einen des Lesens kundigen Mann zu Rate gezogen hätte, das brachte er nicht übers Herz; der hätte ihn ja betrügen und die Schätze selbst heben, ihn zummindest aber gehörig auslachen können.
Als er einst im Traum deutlich den Ruf vernahm, er möge diese und jene Nummern in die Lotterie setzen, sprang er voll Entsetzen aus dem Bette, besprengte sich und seine Umgebung mit Weihbrunnen und rief: „Herr, führe uns nicht in Versuchung! Mit der Lotterie, dieser teuflischen Erfindung, will ich nichts zu tun haben und das Geld, das die armen Weiber und die dummen Männer verspielen, will ich auch nicht, nein, das schon gar nicht!“
Sein Sohn und Nachfolger versuchte das Schatzgraben auch, allerdings auf eine ganz andere Weise. Er suchte in seinen steinigen Wiesen nicht mehr nach blinkenden Goldstücken, sondern legte solche hinein, indem er den Schutt entfernte, Hügel ebnete und Löcher ausfüllte. Bald sprosste der Schatz und trieb tausendfältige Frucht. Und wer heute den Hoisbauer nach den Schätzen fragt, die sein Ahne erworben hat, so wird er ihm gefüllte Korntruhen, große Kästen voll der schönsten selbstgesponnenen und gewirkten Linnen und einen bedeutenden Viehbestand zeigen. Den Schatz, den der Urahne so mühsam suchte, fand und hob erst sein Sohn. Jener suchte im Dunkel der Nacht und fand nichts, dieser benützte die Nacht zur Ruhe, damit er im hellen Sonnenschein und mit frischen Kräften und einem klaren Kopfe versehen die Goldstücke in Form von Heu, Getreide und Holz einheimsen konnte.
Anm.: Der Hoisbauernhof liegt südlich von Krungl auf einem Hügel.