3.1 Methodik
Bei der Recherche für dieses Buch wurden zunächst alle mir verfügbaren und zugänglichen schriftlichen Quellen erhoben und die in Frage kommenden Sagen akribisch „abgeschrieben“. Die früheste Schriftquelle stammt aus 1880, allerdings mit Verweisen auf ältere Schriftquellen aus 1846, mehr als zwei Drittel der Sagen wurden 1895 und 1896 von dem Mitterndorfer Privatgelehrten Friedrich Lobenstock publiziert, dem Bruder des in der Region noch heute legendären Arztes Dr. Heinrich Lobenstock (im Volk liebevoll „Bader Heiner“ genannt). Wichtige Quellen sind weiters der berühmte steirische Sagenforscher Johann Krainz (1880) sowie diverse Publikationen und unveröffentlichte Aufnahmen des auch international bekannten Sagenkundlers Karl Haiding aus den Jahren 1975 bis 1982. Die meisten anderen Publikationen haben – bis auf wenige Ausnahmen – von diesen drei Pionieren „abgeschrieben“ und dabei mehr oder weniger gelungene eigene Bearbeitungen publiziert. Daneben fand ich in teils unveröffentlichten Archiven und Manuskripten noch einige weitere Sagen.
Aus diesem „Rohmaterial“ habe ich zu jeder Sage – manche Sagen liegen in bis zu sechs Versionen vor – eine behutsame eigene Bearbeitung erstellt, die sich möglichst nahe an der mir am authentischsten erscheinenden Überlieferung orientieren sollte, wobei gleichzeitig eine der heutigen Zeit angepasste „hochdeutsche“ Ausdrucksweise gefunden werden musste, die aber den „Zauber“ der Vergangenheit und den regionalen umgangssprachlichen Erzählstil nicht völlig verdrängen sollte – ein nicht immer einfacher Brückenschlag. Leider fehlen bei manchen Autoren die Quellenangaben, so dass eine halbwegs nachvollziehbare Beurteilung der Authentizität oft schwierig war. So musste ich mich – wissenschaftlich orientierte Sagenkundler mögen mir verzeihen – beim Bearbeiten oft auf mein „Gefühl“ verlassen.
Solcherart ausgestattet mit dem wichtigsten regionalen Überlieferungsgut machte ich mich auf die Suche nach allenfalls noch in der Erinnerung der Einheimischen vorhandenen mündlichen Überlieferungsresten. Dies war besonders schwierig, förderte aber unerwartete Schätze zutage – vor allem die Erkenntnis, dass Leute, die erst in den 60er Jahren geboren waren – also relativ junge Leute – noch Sagen von ihren Eltern oder Großeltern selbst gehört hatten. Und zwar nicht etwa Sagen, die schon vorher publiziert worden waren, sondern bislang ausschließlich mündliches Überlieferungsgut. Das bedeutet, dass die mündliche Überlieferung in der Region noch bis in die 70er Jahre zumindest vereinzelt trotz Radio und Fernseher lebendig war und vielleicht noch immer ist! Insgesamt konnte ich bislang zwei bis heute nur mündlich überlieferte Sagen bzw. Sagenfragmente aufnehmen.
Bei der Bearbeitung der beiden mündlichen Überlieferungen, die mir nicht in einer „literarischen“ Form erzählt wurden, sondern in Form von bruchstückhaften „Erinnerungsfetzen“, die erst nach genauerem Nachfragen ein vollständigeres Bild ergaben, habe ich mich grob am Bearbeitungsstil von Karl Haiding orientiert, den ich an Hand einiger weniger seiner Original-Tonband-Transskriptionen und seinen darauf basierenden Bearbeitungen studieren konnte.
Leider fehlte mir für intensivere Nachforschungen über mündliches Überlieferungsgut schlicht die Freizeit. Allerdings wurde zumindest über das sagenmäßig sehr schwach repräsentierte westliche Hinterbergertal von Horst Dinter 1998 in der Einleitung zu seiner selbstverfassten Sammlung von Hinterberger Kunstsagen bereits angemerkt, dass er trotz sehr intensiver Recherchen keinerlei mündliche Überlieferungen in Pichl-Kainisch mehr finden konnte, es würde mir da wohl nicht viel besser gehen. Dennoch möchte ich die Hinterberger Bevölkerung durch diese Sagensammlung dazu anregen, im Kreise ihrer älteren Mitmenschen nach alten Sagenüberlieferungen zu fragen, und mir entsprechende Informationen zukommen zu lassen, falls sie von überlieferten Sagen oder Sagenfragmenten aus dem Hinterbergertal erfahren, die in der vorliegenden Sammlung noch nicht vorkommen. Ich bin über jede Vervollständigung der Sammlung dankbar!Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz
vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch.
Erarbeitet im Rahmen des
Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch