9.4 Das Geschlecht der Ritter von Fötscher

Südlich von Bad Mitterndorf, auf etwa halbem Weg auf der Straße zum Pass Stein, liegt rechts auf einem Hügel ein kleines Schloss namens Grubegg. Bis vor wenigen Jahren war dort die Mitterndorfer Forstverwaltung der Österreichischen Bundesforste untergebracht, bevor diese aufgelassen wurde. Vor mehr als dreihundert Jahren aber beherbergte es ein mächtiges, reiches Rittergeschlecht, das Geschlecht der Ritter von Fötscher. Am Fuß des Schlossberges lag früher das kleine Dörfchen Grubegg, heute sind nur noch wenige Wohnhäuser in der Umgebung, war doch aus dem Dörfchen zwischenzeitlich ein riesiges Sägewerksgelände geworden, das aber heute auch nicht mehr in Betrieb ist. Das Dörfchen Grubegg und weiter hinaus die grünen Wiesen und die mächtigen Wälder waren früher Eigentum der Familie Fötscher. Viele Bauern waren ihnen untertan, und alle Tiere des Waldes und der Gewässer zählten sie zu ihrem Besitz. Das Geschlecht der Fötscher lebte viele Jahrzehnte glücklich und zufrieden. Die Ritter wurden wegen ihrer Leutseligkeit geliebt, wegen ihrer Mildtätigkeit geschätzt und wegen ihrer Gerechtigkeit allgemein geachtet. Offenbar ruhte der Segen des Himmels auf ihrem Besitz und auf ihren Unternehmungen. Je mehr sie von ihrem Überfluss austeilten, desto mehr wuchs ihr Vermögen, und je öfter sie leidenden Menschen beistanden, desto weniger Ungemach und Sorge traf sie selbst.

Leider verwandelte sich in dieser Familie die angestammte Bescheidenheit nach und nach in Hochmut und Stolz. Die Ritter, und insbesondere deren Frauen, mochten nicht mehr freundschaftlich mit ihren Untergebenen verkehren, die Hilfesuchenden wurden schroff abgewiesen und die Bettler mit Hunden von der Tür verjagt. Anstatt ihren Überfluss zu verwenden zur Linderung der Armut, veranstalteten sie Gelage und Feste, behingen sich mit kostbaren Steinen und goldenen Ringen und vergeudeten das Geld oft auf leichtsinnige, ja sogar auf schlechte Weise. Ihr Stolz wuchs allmählich derart, dass sie niemanden mehr, nicht einmal den lieben Herrgott, als ihren Herrn und Gebieter anerkennen wollten.

Eines Tages ging Ritter Fötscher in der Nähe des Schlossteiches spazieren. Da näherte sich ihm zögernd und ängstlich eine Bettlerin. Sie war in tiefster Not, sonst hätte sie es nie gewagt, den Ritter um eine Gabe anzusprechen. Harte Worte waren ihr sicher, das wusste sie, ob sie eine Gabe erhalten werde, war zumindest sehr zweifelhaft. Diesmal jedoch überhörte der Ritter absichtlich die leisen aber eindringlich flehenden Worte der Frau. Er ging weiter, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Nun aber regte sich im Herzen der Bettlerin heimlicher Groll, und mit halblauter Stimme murmelte sie: „Noch keinem Menschen ist der Bettelstab verbrannt.“

Obwohl diese Worte nicht für das Ohr des Ritters bestimmt waren, hörte sie dieser doch deutlich genug. Er drehte sich zur Frau um, stieß ein höhnisches Gelächter aus, zog aus seiner Tasche eine Goldmünze und warf diese in den Schlossteich. Zugleich sprach er voll Hochmut: „So wenig dieses Goldstück nochmals ans Tageslicht kommt, so wenig wird das Geschlecht der Fötscher jemals verarmen!“

Am folgenden Tag angelte der Ritter im Teich. Da fing er einen Fisch, der die Goldmünze im Maul hatte. Wohl wurde der Ritter beim Anblick des Goldstückes weiß wie die Schneeflecken am Grimming, aber sein Herz blieb verhärtet und sein Hochmut ungebrochen.

Von diesem Zeitpunkt an ging es mit dem Wohlstand rasch abwärts. Der Hagel zerschlug die Früchte auf dem Feld, ein großer Brand äscherte ein Waldstück ein, eine schreckliche Seuche wütete arg unter dem Vieh, und zuletzt riss sogar unter den Familienmitgliedern Uneinigkeit und Zwietracht ein. Nur um den Schein zu wahren, gestalteten sie ihre Festlichkeiten noch kostspieliger als früher und warfen das Geld mit vollen Händen für leichtsinnige Zwecke zum Fenster hinaus. Bald mussten sie Schulden machen, und diese brachen ihnen den Hals. Gar nicht lange dauerte es mehr, und das letzte Stück Vieh war verkauft, das letzte Ackerfeld veräußert, die großen Wälder in Geld umgesetzt und ihr Stammschloss verjubelt. Von seinen alten Freunden verlassen, von den einstigen Untertanen verachtet und von jedermann gemieden schleppte sich der letzte der Fötscher noch einige Jahre in tiefster Armut durchs Leben, bis endlich der Tod seinem verfehlten Dasein ein Ende machte.

In der Pfarrkirche von Bad Mitterndorf befindet sich die Familiengruft der Ritter von Fötscher, und dort fand auch der letzte seines Stammes die ersehnte Ruhestätte. An der Außenseite der Kirchenmauern, und zwar gegen Osten, ist eine Marmorplatte eingefügt, es ist der Grabstein derer von Fötscher, das einzige und letzte Wahrzeichen ihrer einstigen Macht und Größe.

Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch. Erarbeitet im Rahmen des Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch