257. Das Spähmandl.

Das Spähmandl spielt seine Rolle am St. Martinstage im November. Am Abend jenes Tages kann man überall und sehr oft den Mahnruf hören: „Geh' nöt mehr auf die Weid, denn heunt kimmt Dir's Spähmandl inter!“ Und in der Tat jagen diese Worte Vielen, besonders den Kindern, große Furcht ein.

An einem Martinitage war es, daß ein reicher Bauer seinen Leuten auch vom Spuck des Spähmandls erzählte und Alle vor dem heutigen Ausgehen warnte. Groß und Klein sah sich an, und man konnte es auf den Gesichtern lesen, daß sie sich von dem Gespenste schon fast ergriffen wähnten; nur ein Knecht, der den Sonntag lieber in der Kirche verlebte als im Wirtshaus sich herumschlug, nebstbei starker Natur war und gerne und fleißig arbeitete, blieb bei der Erzählung kalt und schien den furchtsamen Hausherrn auslachen zu wollen. Dieser aber ließ sich das nicht gefallen und forderte ihn sofort auf, er solle, da er sich nicht fürchte, heute noch in die zwei Stunden entfernte Alpenhütte und von dort das vergessene Rührkübel *) holen; wenn er dasselbe bringe und ihm vom Spähmandl kein Leid geschehe, so wolle er ihm als Geschenk die beste Kuh geben. Alle hörten das Gesagte, und Allen lief es kalt über den Rücken, als der Knecht nichtsdestoweniger die Wette einging, ungesäumt die Tischgesellschaft verließ, den festen Alpenstock zu sich nehmend nochmals freundlich grüßte und dann begleitet vom großen treuen Hofhund „Gib Acht“ den Weg zur Alpe einschlug.

Während nun der Bauer mit den Seinigen in mancherlei Mutmaßungen sich erging, wandelt Paul, so hieß der unerschrockene Knecht, betend und den Hut in der Hand über die einsamen Steige. Nichts regte und bewegte sich, Alles lag im tiefsten Frieden; Paul erblickte kein lebendes Wesen, nur der Hund läuft vor ihm.

So geht er eine volle Stunde und erreicht ohne Unfall das erste Gehölze in seines Bauern Alpe, die heute nicht von dem traulichen und bekannten Tone der großen Alpenglocke wiederhallt. Schon denkt er an die Hütte und an den verlangten Gegenstand, an die Wette und an die Kuh, - da schreit es plötzlich aus einem nahen Busch im höhnenden Tone: „Gwinnst dö Kuah?“ und bald darauf zum zweiten und dritten Male. Laut bellt der „Gib Acht“ und zieht sich in die nächste Nähe des Paul, dem es selbst fast schon vorkommt, es sei heute „die Spähmandlnacht.“ Doch lenkt er seine Schritte immer vorwärts, wenn auch jenes Wort noch in seinen Ohren tönt, aber es währt ihm die Zeit zu lang, und je näher er der Hütte kommt, desto mehr verlängert sich der so bekannte Weg, Endlich glänzt ihm das Schieferdach der Alpenhütte entgegen, auf das der Mond seine Strahlen so zauberisch schön streifen ließ schon steht er im geräumigen Hof und sieht die Wette so viel als gewonnen. Voll Gedanken des unverhofften Glückes ruft er den Hund zu sich, - da hört er jene Worte auch an diesem Orte wieder, aber noch viel lauter und gespenstiger; eiskalt läufts ihm über den Rücken und mit einer ihm seltenen Scheu überschreitete er die Türschwelle. In dem nämlichen Augenblicke aber ertönen jene Worte nochmals und mit einmal wird’s in der Hütte lebendig; das ist ein Rasseln und Rauschen, ein Knistern und Zischeln auf dem Herde, ein Gehen und Rennen, ein Poltern und Arbeiten, wie es vielleicht selbst im Hochsommer auf der Alpe nie stattgefunden. Paul hört dies Alles, sieht aber nichts und steht bange an der Schwelle der Milchkammer, wo das Rührkübl, sein ersehnter Gegenstand, aufbewahrt lag. Endlich öffnet er die Türe und greift nach dem Kübel. Da dringt ihm zum dritten Male der grelle Schrei entgegen: „Gwinnst dö Kuah?“ - Paul aber faßt das Kübel, ladet es auf die breiten Schultern und verläßt tiefatmend die Hütte. An der Schwelle ruft er zurück: „Wenns Gottes Willen ist, das Kalb a dazua.“ und weithin hört er noch das Echo seines Rufes, bis es sich ins Tal verlor. -

Er kam zum Erstaunen Aller glücklich im Hause seines Herrn an, erhielt die Kuh samt dem Kalb für das bestandene Wagestück, und damit war auch der Grund zu seinem selbständigen, häuslichen Herde gelegt. Alljährlich erzählte er dann seinen Kleinen am „Spähmandelabend“ diese Begebenheit.

*) Rührkübl - Gefäß zur Butterbereitung.

(Aus dem oberen Ennsthale.)
Anton Meixner
„des Volkes Sagen und Gebräuche“

Quelle: Johann Krainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck an der Mur 1880.
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