Die Hilfe des guten Berggeistes
Vor vielen Jahren gab es auf dem Erzberg einen habsüchtigen und ausnutzerischen Bergherrn, der seinen Knappen den Befehl gab, von nun an täglich längere Arbeitsschichten zu machen. Obwohl dies gegen die eingeführte Bergordnung verstieß, sollten die Knappen eine Stunde früher als sonst einfahren; sie mussten gehorchen, weil er ihnen mit der Entlassung drohte. Als die Knappen am nächsten Morgen wirklich vorzeitig zum Stollen kamen, um einzufahren, sahen sie beim Mundloch (Stolleneingang) ein grausiges Bild. Auf dem Boden lag ein frisch geschlachteter, noch blutender Ochse auf dem Rücken, dem alle vier Füße abgeschlagen waren. Auf jedem Beinstummel steckte eine brennende Kerze und zwei grimmig blickende Unholde waren eben beschäftigt, das Tier mit ihren langen Messern zu zerfleischen. Erschrocken liefen die Knappen zurück, kamen aber zum üblichen Arbeitsbeginn wieder zum Stollen und sahen von dem ganzen Spuk nichts mehr. Der Bergherr, dem sie den Vorfall erzählten, hielt alles für eine lustige Erfindung seiner Knappen, um sich der frühen Arbeitsstunde zu entziehen. Am nächsten Tage führte er daher selbst die ganze Belegschaft auf den Erzberg, um so die Einfahrt zu erzwingen. Beim Stolleneingang aber war wieder das gleiche grausige Bild des Vortages zu sehen, doch waren diesmal vier Unholde beim Ochsen, warfen grimmige Blicke auf den Herrn und zückten angriffsbereit die langen Messer. Da floh der Bergherr mit seinen Knappen entsetzt hinweg. Als sie eine Stunde später, also zur gesetzlichen Zeit, ins Bergwerk einfuhren, war von dem grässlichen Spuk wieder nichts zu sehen. So schützte der gute Geist des Erzbergs die Knappen vor einem habsüchtigen Bergherrn.
Quelle: Auszug aus „Was die Heimat erzählt“ Steirische Heimathefte, Heft 6
Email-Zusendung Andy, März 2024