Von den Kasmandeln

Auf den Bergen des Mur- und Ennstales treiben sich winzige, graugekleidete Männlein herum, deren runzeliges Gesicht von Wind und Wetter tüchtig gebräunt ist: es sind dies die sogenannten Kasmandeln. Für gewöhnlich halten sie sich in dichten, finsteren Wäldern auf und wohnen in unzugänglichen Schluchten und kleinen Höhlen. Hier führen sie ein ganz verborgenes Leben, nähren sich von Wurzeln, Kräutern und allerlei kleinem Getier, wie Kröten, Schlangen, Würmern, Käfern und dergleichen. Wenn aber der Martinitag (11. November) kommt, und die Sennhütten längst schon von den Almleuten verlassen sind und oft schon tief im Schnee stecken, dann kommen die Kasmandeln aus ihren Schlupfwinkeln hervor und suchen die Almhütten auf, in denen sie dann den ganzen Winter über meist recht armselig hausen. Hier suchen sie in allen Winkeln und Ecken nach weggeworfenen Käs – und Brotrinden und sonstigen vergessenen Überresten von Lebensmitteln; davon leben sie den ganzen Winter. Freilich müssen sie oft Hunger, Durst und vor allem Kälte leiden, denn in manchen Sennhütten finden sie fast gar keine Überreste. Am Georgitag (24. April), wenn die Almhütten bald wieder bezogen werden, verschwinden auch die Kasmandeln und beziehen wieder ihre sommerlichen Schlupfwinkel. Die Kinder fürchten die Kasmandeln sehr, und wenn sie gegen Abend ihr lustiges Spiel im Freien nicht unterbrechen und nicht heimgehen wollen, so ruft die Mutter gewöhnlich: „Kinder, rasch nach Haus, die Kasmandeln geh‘n schon um!“ – Hui, da rennen sie gleich in die Stube und verriegeln die Tür, damit kein Kasmandel hereinkann.

Quelle: Auszug aus „Was die Heimat erzählt“ Steirische Heimathefte, Heft 8
Email-Zusendung Andy, April 2024