DAS NATTERNKRÖNLEIN
Es lebte einmal in der Steiermark ein kleiner Junge, der keine Eltern mehr hatte und so arm war, daß er gar nichts auf der Welt besaß. Er mußte reihum bei den Landwirten essen gehen und zufrieden sein, wenn er das bekam, was vom Mittagstisch der andern übrigblieb, oft waren es auch nur Abfälle. Einmal ging der Bub in den Wald, um Beeren zu suchen. Da traf er eine Frau in schneeweißem Gewande, die ihm ein buntschillerndes Ding hinhielt. Der Bub nahm das dargebotene Geschenk, besah es eine Weile und wußte nicht, was er mit dem glitzernden Gegenstand anfangen solle. Da steckte er ihn hinter das Band auf dem Hut und ging weiter.
Nicht lange darauf traf er ein paar Leute. Sie sahen ihn verwundert an und fragten, warum er denn sein Geld auf dem Hut gesteckt habe. Nun nahm der Junge den Hut ab und fand hinter dem Band einen funkelnagelneuen Kreuzer. Darüber freute er sich und steckte den Kreuzer in den Sack. Aber kaum war der Kreuzer herunten, hing schon wieder ein neuer Kreuzer am Hut, und das ging so fort den ganzen Tag und das ganze Jahr lang, daß der Bub mit dem Kreuzerabnehmen kaum zurechtkommen konnte. Und als ein Jahr um war, hatte er sieben Kornsäcke voll Geld.
So vergingen die Jahre. Aus dem armen Jungen wurde ein reicher Mann, der sich Äcker, Wiesen und Felder kaufte und einen großen Bauernhof besaß. Bald war er reicher als der Graf, der wohl ein großes Schloß, doch kein Geld, dafür aber viele Schulden hatte. Der Graf ärgerte sich immer mehr, als er den Reichtum des anderen sah, und da er bald heraußen hatte, wem der Landwirt sein Vermögen verdankte, dachte er hin und her, wie er sich das Natternkrönlein verschaffen könnte.
Als nun der Bauer mit seinen Leuten eines Tages auf dem Feld mit dringenden Arbeiten zu tun hatte und sein Haus leer stand, schlich der Graf in den Wald, zog dort altes, zerrissenes Bettelgewand an, beschmierte sein Gesicht mit Pech und Ruß und stieg wie ein Dieb in des Bauern Hof ein, wo er alles durchwühlte und durchsuchte, um das heiß begehrte Krönlein zu finden. Endlich hatte er es, hörte aber im gleichen Moment Schritte im Vorraum; da er nicht wußte, wohin mit dem kostbaren Gegenstand, verschluckte er es. Dann sprang er beim Fenster hinaus und lief in den Wald, um das Bettelzeug mit seinen guten Kleidern zu vertauschen, die er im Buschwerk verborgen hatte.
Aber das Krönlein in seinem Leib bewies seine geheimnisvolle Kraft. Sooft auch der Graf seinen schmutzigen Bettelrock vom Leib riß, jedesmal saß er ihm wieder am Körper, und ebenso ging es ihm mit der Hose. Das Krönlein wirkte von innen heraus und erneuerte das, was er vom Leib nahm und wegwarf. So blieb dem armen Grafen denn nichts anderes übrig, als in seinem schmierigen Bettelgewand heim in sein Schloß zu gehen. Da er es natürlich vermeiden wollte, von der Dienerschaft gesehen zu werden, stieg er an einer versteckten Stelle über die Gartenmauer, um unbemerkt in seine Räume zu schleichen. Zum Unglück aber ging gerade der Torwart vorüber, als der Graf von der Mauer sprang. Der meinte, in dem abgerissenen Mann mit dem geschwärzten Gesicht einen Dieb oder Räuber vor sich zu haben, ergriff einen daliegenden Knüttel und begann auf den Grafen einzuhauen. Und nun kam die geheime Kraft des Krönleins auch über den Torwart. Der Prügel war kaum vom Leib des Grafen weg, so mußte er wieder hinfallen, und so prügelte der Wächter, ohne einhalten zu können, immerzu, den ganzen Abend, die ganze Nacht hindurch. Der Graf wurde elend zugerichtet und war bald voll Beulen und blauer Flecke. Endlich wurde ihm totenübel, und er erbrach das Krönlein. Im gleichen Moment konnte der Mann aufhören zu schlagen, und der Graf war imstande, sein Bettelmannsgewand abzustreifen. Aber er hatte genug von dem Krönlein und gab es dem Landwirt wieder zurück.
Nun sollte man meinen, der Bauer habe in Reichtum und Glück ein zufriedenes Leben bis an sein Ende geführt. Dem war aber nicht so. Der Besitz des Krönleins, das ihm Geld herbeischaffte, sooft er nur wollte, machte ihn leichtsinnig und liederlich, und als er einmal die ganze Nacht im Wirtshaus hockte, spielte und trank, verschwand das Krönlein und kam nicht mehr zum Vorschein. Mit dem Landwirt aber ging es von dieser Zeit an bergab, und er wurde so arm, wie er vorher gewesen.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich,
o. A., o. J., Seite 86