DIE SILBERNEN BUBEN VON ARZBERG
Südlich von Passail am Eingang der Raabklamm liegt das Dorf Arzberg. Nahe des Ortes war lange Zeit ein reicher Silberbergbau im Betrieb, und der Name des Dorfes wird mit der einstigen Erzgewinnung in Zusammenhang gebracht. Die in der Nähe aufsteigenden Gösser Wände, im Innern stark zerklüftet, bergen nach der Meinung der Bevölkerung noch heute reichhaltige Silbererze, die von seltsamen Bergmännchen, den silbernen Buben, behütet werden.
Einst kam ein armer, aber ehrlicher Bergknappe namens Jakob in die Gegend von Arzberg, um hier sein Glück im Bergbau zu versuchen. Er stieg in den umliegenden Bergen umher und kroch alle Felshänge ab, beklopfte die Wände und untersuchte herausgebrochene Felsstücke, um Proben erzhaltigen Gesteins zu finden. Auf seinen Gängen kam er auch in die Gösser Wände und klopfte und hämmerte drauflos; aber nirgends zeigte sich eine der gesuchten Erzadern. Ermüdet von der Arbeit des Tages, legte er sich einmal gegen Abend auf eine kleine Rasenfläche, um ein wenig auszuruhen. Nach kurzer Zeit war er eingeschlafen.
Als er wieder erwachte, ging es gegen Mitternacht, und der Vollmond tauchte die ganze Gegend in magischen Schimmer. Er stand auf und wollte sich eben auf den Heimweg machen, um sein Nachtquartier, das er in der Hütte eines armen Landwirtes aufgeschlagen hatte, zu beziehen, als sein Blick auf einen kleinen Wiesenfleck fiel, der im hellen Mondschein unten im Tale jenseits des Flusses lag. Erstaunt blieb er stehen und beobachtete aufmerksam das seltsame Treiben, das sich vor seinen Augen da unten abspielte. Um besser zu sehen, stieg er schließlich vorsichtig den Hang hinunter und schlich sich, durch das Gebüsch verdeckt, an die Wiese heran. Eine Schar munterer Buben in Bergmannskleidung, die silberhell glänzte, sprang und tanzte auf der ebenen Wiesenfläche im Zwielicht des Mondes umher. Einige pochten mit kleinen Hämmern an den Felswänden herum oder schlugen auf das Gestein, daß die Funken sprühten, andere lasen die losgebrochenen Stücke auf und schafften sie weg, während sie sich dazwischen in neckischem Spiel mit kleinen glänzenden Steinen bewarfen. Das alles vollzog sich so ruhig und geräuschlos, daß den Bergmann ein unheimliches Gefühl beschlich und er sich rasch davonmachen wollte. Aber kaum hatte er einige Schritte getan, als die silbernen Buben ihn bemerkten und mit Steinen nach ihm zu werfen begannen. Er ließ sich aber dadurch nicht aufhalten, sondern setzte eilig seinen Weg fort, obwohl sie ihn mit ihren Steinwürfen bis zum Haus seines Quartiergebers verfolgten.
Am nächsten Morgen erzählte Jakob dem Landwirt sein nächtliches Erlebnis, und dieser teilte ihm mit, was er über die silbernen Buben wußte, und riet ihm, an jener Felswand, an der die Kobolde in der vergangenen Nacht gearbeitet hätten, nach edlem Erz zu schürfen. Der Bergmann befolgte den Rat des Landwirtes, entlieh sich den Wagen, spannte die Pferde vor und fuhr ins Gebirge. Schon am Weg begegnete ihm einer der silbernen Buben, so daß er hoffen konnte, die richtige Fährte zu haben. Tatsächlich hatte er das Glück, auf eine reiche Silberader zu stoßen. Nun war er ein gemachter Mann. Er nahm andere Bergknappen in seine Dienste und begann das Silber bergmännisch abzubauen. Reicher Gewinn war der Lohn seiner eifrigen Arbeit.
Aber das Glück des fleißigen Bergknappen erweckte bald den Neid gieriger Leute. Jakob mußte nämlich einen Teil seines Gewinnes nach dem Recht der damaligen Zeit an den Besitzer der nahen Burg Stubegg, den Grafen von Stubenberg, abliefern. Da sich der Graf im Krieg befand, hatte er es mit dem Verwalter des Gutsbesitzers, einem hartherzigen Bösewicht, zu tun. Dieser suchte Jakob auf jede Weise zu benachteiligen und ließ ihn sogar, als der Bergmann sein Recht wahren wollte, in den Kerker werfen.
Nun gedachte der arglistige Verwalter, sich selbst das ergiebige Bergwerk anzueignen; aber er mußte seine verbrecherische Absicht mit dem Tod büßen. Als er nämlich in den Berg einstieg, um die reichen Schätze an edlem Erz, die noch dort aufgelagert waren, in Augenschein zu nehmen, lockten ihn die silbernen Buben immer weiter ins Innere des Berges hinein, bis er sich in den dunklen Gängen des Bergwerks verirrte, so daß er nimmer ans Tageslicht kam.
Jakob wurde nach der baldigen Heimkehr des Burgherrn aus der Kerkerhaft entlassen und ließ zum Dank für seine Befreiung und den reichlichen Bergsegen die Kirche zum heiligen Jakob in Arzberg erbauen. Das Bergwerk wurde jahrhundertelang betrieben, bis allmählich die Adern taub wurden und so der Erzbau zum Stillstand kam. Seitdem sah man auch die silbernen Buben nicht mehr.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite
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