Das schwarze Büblein
Am 19. Tage des Christmonats 1319 ging der Bauer Georg G(H)eßgrueber von Gschaidt über den Schöckl.
Unterwegs begegnete ihm im Wald ein Bub von etwa 14 Jahren. Wenn er mit ihm gehe, wollte er ihm einen Nutzen erweisen, meinte dieser.
Der Bauer scheute sich anfangs, denn der merkwürdige Bub hatte ganz lichte Augen, die in der Dunkelheit feurig glänzten, und außerdem wollte er bei einem Nachbarn seine Schulden einfordern. „Fürchte dich nicht, es wird dir kein Leid widerfahren", sagte der Bub und führte den widerstrebenden Mann zu einer Wacholderstaude, hinter der eine eiserne Tür verborgen war. Dann zeigte er ihm zwei Schlüssel und forderte ihn auf, damit die Türe aufzusperren, worauf der Bauer antwortete, er sähe nichts. Da nahm der Bub eine Fackel aus der steinernen Wand, die alsbald in seinen Händen zu brennen begann und leuchtete dem Bauern. Als aber dieser nun den kohlschwarzen Buben sah, fürchtete er sich noch mehr, doch er sperrte auf.
Zunächst gelangten sie in einen Saal, wo nichts war als zwei große Kohlenhaufen. Er führte ihn weiter in ein anderes Gewölbe, das kleiner war, aber ebenso zwei Kohlenhaufen enthielt.
Endlich führte er ihn in einen dritten Raum. Darinnen standen sieben große eiserne Truhen. Auf der mittleren lag ein schwarzer Hund. Der Bub befahl dem Bauern, aus dem mittleren Saal zwei Handvoll Kohlen in seinen Sack zu schieben. Als dieser das getan hatte, gingen beide wieder hinaus ins Freie. Als der Bauer sehen wollte, was es für Kohlen wären, fand er in seinen Taschen mehrere Klumpen Gold.
Der Bub sagte ihm, daß er zeitlebens alle Tage zwei Handvoll aus dem mittleren Gewölbe, nicht aber aus einem der beiden anderen nehmen dürfe. Doch, wenn er es jemandem verriete, würde niemand etwas davon haben. Darauf verschwand die kleine Gestalt.
Der Bauer tat so achtzehn Monate lang und erwarb mit dem Gold Häuser, Äcker und Wälder.
Die Leute wunderten sich sehr, und viele meinten, er sei ein Zauberer geworden. Dies gelangte bald seiner Herrschaft, Ulrich, Herr von Stubenberg, zu Ohren.
Er forderte den Bauern zu sich, konnte jedoch nichts aus ihm herausbringen.
Zuletzt versprach der Bauer:
„Herr, bitte tut mich nicht antreiben, ich stehle nicht, bekomm's auch nicht unehrlich,- darf aber nicht sagen, woher ich's habe. Damit Ihr aber auch davon genießen könnt, will ich Euch alle Tage eine Handvoll Gold bringen."
Von Gier getrieben forderte der Herr von Stubenberg täglich mehr und bedrängte den Bauern so lange, bis dieser endlich einwilligte, seinen Herrn zur Schatzhöhle zu führen.
Aber als beide dort ankamen, fand sich kein Eingang mehr hinter der Wacholderstaude.
Nun übergab der Bauer seinem Herrn die beiden Schlüssel, forderte ihn jedoch auf, diese sorgfältig aufzuheben, bis der Tag käme, wo sie ihm großes Glück bringen würden,- so stand es auf einem Zettel, der dem Schlüssel beigelegt gewesen war.
Quelle: Johann G. Seidl, Sagen und Geschichten aus der Steiermark.
In: Annemarie Reiter (HG.), Grazer Sagen und Geschichten, Graz 1996, S. 140.