Oberdorf

Vor vielen Jahren, ehedem das Schloß Oberdorf stand und noch Bauern den großen schloßbäuerlichen Besitz innehatten, ist ein junger, braver Bauernknecht spät abends von einem Pflichtweg heimgegangen und hat traurig überlegt, wie er es wohl machen sollte, um reich zu werden und ein Keuschlein anzukaufen, damit er seine kranke, wenn auch böse, alte Mutter darin sorgenlos verpflegen könnte.

Der Mond schien hell hernieder und schimmerte und schillerte im Wasser des Schloßbauernteiches. Da war es ihm plötzlich, als ob unweit vom Ufer des Sees eine weibliche Gestalt säße, und etwas Bangen faßte ihn, weil er schon von der Teichfrau erzählen gehört hatte, die besonders den Kindern abhold sei.

Doch mußte er an ihr vorbei, und so bekreuzte er sich und ging mutig, darauf los. Da erhob sich das weibliche Wesen, das nur mit einem Schleier von dunkler Farbe bedeckt schien, und trat auf ihn zu. "Alle guten Geister..." sagte da der Bursch, doch weiter zu sprechen versagte ihm die Stimme.

"Sohn der Bettlerin," sprach da das Geisterweib ihn an, "willst du, so kannst du mich erlösen, und du und ich werden glücklich sein."

Ein wenig überlegte er, dann aber dachte er, es mag diese Gestalt eine arme Seele sein, und so sprach der Bursch denn fest und sicher "Ja".

"So mußt du dich mit mir trauen lassen vor einem christlichen Pfarrer; ein Jahr werde ich bei dir bleiben, ein Kind werde ich dir schenken, dann aber kehre ich ein ins Reich der erlösten Geister. Aber frage mich ja nie, wer ich bin, woher ich kam, wohin ich gehe! Denn sonst ist es dein Tod und der deines Kindes, und ich muß wieder hundert Jahre warten, bis wiederum Erlösung naht."

Dann bot sie ihm die Hand, er schlug ein, und kalter Schauer drang aus der eiskalten Hand durch seinen ganzen Körper.

Mehr lief er heim als er ging, und fand in dem Verschlachtkammerl des Stadels sein Mutterl in stillem Schlummer. Ihn aber floh der Schlaf. Ein Geisterweib, dessen bloße Berührung mit der Hand ihm eisigen Schauer durch die Glieder trieb, ein hundertjähriges Weib sollte er ehelichen und das Mädchen, das er heimlich liebte, sollte er vergessen?! Und er hatte voreilig "Ja" gesagt, und es gibt kein Zurück.

Was wird wohl Mathilde sagen, das arme, zugelaufene Dirnlein, das nun Magd war im Bauernhofe und das mit aller Liebe an ihm hing?

Und doch, zu diesem Schlusse kam er, es muß so sein, schon der armen Seele wegen, die schon hundert Jahre und darüber seufzt.

Der Tag kam, wo Hochzeit sein sollte, und mit keinem Worte hatte er weder dem Pfarrer noch seiner Mutter verraten, wo er seine Braut kennen gelernt. Sie hatte ihm gesagt, er solle als ihren Namen angeben "Hilda vom Teicht", und das tat er.

Zwei Beistände hatte der Bräutigam mitgebracht, zwei Knechte, wie er einer war, vom gleichen Hof; und die alle Mutter war mitgehumpelt, mehr getragen von ihrem Sohn als auf eigenen Füßen.

Sie war ein sonderbares Weiblein, nicht so sehr krank als lästig; sie zankte den ganzen Tag, und ihr Sohn, der sie ernährte, ertrug alles geduldig, und neugierig war sie über die Maßen.

Sie kamen also zur Kirche, doch keine Braut war da, obwohl schon die Zeit fast da war; schon hatte die Uhr ausgehoben und der Pfarrer die Brauen etwas hoch gezogen, der Mesner hielt Ausschau und die Ministranten kicherten vom Bräutigam ohne Braut.

Da schlug die Uhr neun; ein vornehmer Wagen fuhr beim Kirchhoftor von Mariahof vor. Grünes Livre trug der Kutscher, gleich gekleidet war der Diener, der den Wagenschlag öffnete. Dem Kobelwagen entstiegen zwei Herren in grünem Sammetkleide und ein allerliebstes Fräulein.

Und das Fräulein, das nun zwischen den zwei Herren zur Kirche ging, ei, war das die kalte Teichfrau oder war es Mathilde? Ihre Züge waren es, nur viel feiner.

Und nun war die Trauung und nach derselben ein großes Mahl, und schon da hat die alte Mutter ihren Sohn presigelt [sic], woher er denn sein schönes, vornehmes Eheweib genommen habe. Aber wie bisher so war der junge Ehemann auch jetzt solchen Fragen unzugänglich.

Das letzte Gericht aber haben die Grünen Herren selber aufgetragen, den beiden Beiständen und der alten Mutter auf je einem Teller je einen Dukaten, dem jungen Ehepaar aber auf einer großen Schüssel einen großen Sack voll Goldmünzen; dann haben die zwei Herren jedem liebenswürdig die Hand gegeben, das junge Ehepaar aber geküßt und dabei gesagt: "Haltet fein sauber euer Wort!"

Darauf sind sie eingestiegen und sortgefahren, dem Oberdorf zu, und niemand hat sie mehr gesehen.

Soll ich sagen, wie es in den ersten Tagen der Ehe gegangen ist? Das war keine eiskalte Teichfrau, sondern ein so kernfrisches Wesen wie die Mathild, und die Lieb zu seiner Ehefrau war ihm auch sehr leicht, weil die Mathild von dieser Stunde an nicht mehr aufzufinden war. Zuerst haben sie ein Häuschen gekauft; wie aber der Bauer ihm seinen Besitz angetragen hat, hat er ihn übernommen, den Kaufpreis bar ausbezahlt, noch Grund dazu gekauft und sich ein Schloß gebaut. Und ein Buberl hat sich auch eingestellt, und alle, die das Kind gesehen haben, haben das Blondlockerl gern gehabt.

Aber zweierlei ist ihm schwer gefallen in der ganzen Ehe. Die alte Mutter hat in ihrer Neugierde ihrem Sohne keine Ruhe gelassen und auch das junge Eheweib gefragt; aber von ihm hat sie keine Antwort erhalten, und das junge Weib antwortete stets der Stiefmutter: "Ich würde solches nur meinem Manne sagen".

Und da ist die Alte, die bei ihrem Reichtum nur umso sekanter geworden ist, zu ihrem Sohn gegangen und hat ihm Vorstellungen gemacht, daß er eine Heidin oder gar eine Wildfrau geheiratet habe; er solle sie doch fragen. Aber der Gedanke, daß er sein Weib, das er so lieb hatte, erlösen und sein herzallerliebstes Kindlein erhalten wollte, bannte stets seine Zunge und die Neugier seiner Mutter vermochte nichts über ihn.

Das zweite, was ihn schmerzte, war aber der Umstand, daß die Stunde des Abschiedes von seinem Weibe immer näher rückte und das Würmlein ja so notwendig eine Mutter brauchte; aber so sehr er auch litt, er schwieg.

So ging das Jahr dahin, und das junge Weib war schöner als zuvor, liebenswürdiger als ehedem und schien mehr an dem Kinde zu hängen als je einmal.

Noch eine Stunde, und das Kind hatte keine Mutter mehr; schon vergoldete sich der Abendschein, — er ging hinaus auf das Feld, von wo er den Teich überblicken konnte. Da verließ sie, in einem dunklen Schleier gehüllt, das Schloß, — die Mutter verließ ihr Kind, — ihm gings wie ein Dolchstich durch das Herz, — er sah, wie sie in den Teich stieg, und sonnenhell erstrahlte von ihr der Teich. Ja, sie war erlöst.

Abendstill war der Teich geworden, zum Witwer der junge Schloßherr, mutterlos das Kind.

Doch oft und oft sah er in Abendstunden, bevor das Aveglöcklein klang, in lichtem Schleier gehüllt eine Geistergestalt mit seines Weibes Zügen bei der Wiege des Kindes sitzen, und das Kindlein spielte glückselig mit ihr.

***

Eine andere Version erzählt solgendes: Die Mutter des armen Knechtes war bei all ihrer Neugier und Bösartigkeit eine fromme Person. Sie ging jeden Tag in die Kirche, wenn es sich nur ein wenig tun ließ. Eines Sonntags wollte sie, daß der Sohn sogleich mit ihr in die Kirche gehe. Doch dieser hatte noch etwas Wichtiges zu tun. und so ging sie resonierend allein. Wie er später nachging, traf er beim Teiche ein Fröschlein, das an einem Dorn aufgespießt war. Mitleidig befreite er das Tierchen. Kaum frei, sprang es ins Wasser und ein großer Frosch erschien an der Oberfläche des Teiches. "Danke dir," rief er dem erstaunten Burschen zu, "wenn du willst, kannst du dir den Dank holen. Meine Tochter magst du heiraten, und es mag dich nicht gereuen." "Die Tochter?" fragte zweifelnd der Knecht.

"Gewiß. Aber du mußt versprechen, daß du nie um ihr Herkommen fragst," erwiderte der Frosch. "In vier Wochen von heute 9 Uhr ab finde dich beim Pfarrer zur Trauung ein und bring auch einen Trauzeugen mit! Dem Pfarrer melde, daß du die Hilda vom Teicht heiraten wirst; sonst sage niemandem etwas; sonst könnte es dich reuen."

Ganz in Gedanken versunken ging er in die Kirche und meldete hernach dem Pfarrer seine Trauung an. Die Mutter hatte ihn aber beim Pfarrer stehen gesehen und fragte ihn neugierig, was er dort wollte. "Ach, heiraten will ich," erwiderte er, und kaum gesagt, reute ihn sein Wort; aber es war geschehen.

Dann spielt sich die Szene ab wie in der obigen Sage, nur hatte er die Aufgabe, nie sein Weib um ihre Herkunft zu fragen; sonst müßte sie unbarmherzig ins nasse Element zurückkehren. —

So waren sie schon etliche Jahre verheiratet, und ein herziges Buberl erfreute die Eltern. Doch die Mutter in ihrer bösartigen Neugierde ließ ihm keine Ruhe, wenn er sie auch stets ablehnte; und einmal sprach die Alte, er hätte ein Hexenweib geheiratet, das immer schöner werde und ihn ganz betöre. Dadurch ward er heftig. Zum Glück kam die junge Frau dazu und fragte, was es gebe. Ärgerlich sagte er: "Ach, die Mutter wirft mir vor, daß ich dich nie um deine Herkunft fragte. Der ruhe wegen sag es mir!"

Da ward das Weib traurig, verließ schweigend das Zimmer und erschien bald wieder, in einem dunkelgrünen Schleier gehüllt, Hofte das Kind, küßte weinend den Mann und verließ schweigend das Schloß. Unten beim Teich aber winkte sie noch einmal zurück und rief: "Ich gehe dahin, woher ich gekommen bin, zu meinem Vater, dem Froschkönig des Teiches"  Dann schritt sie in den Teich hinein, und alsbald schwamm ein Fröschlein, eine Narbe auf dem Rücken, hinaus in den Teich. Nun erst erinnerte er sich, daß auch seine Frau ein Mal zwischen den Schultern gehabt, wohl vom Dorn, von dem er das Tierlein befreit hatte.

Oftmals aber ward das Kind beobachtet, wie es bei einer jungen, holden Frau am Ufer des Teiches saß und spielte.

Der junge Mann aber nahm sich den Abschied sehr zu Herzen.

Wenn auch die Arbeit ihn für Stunden sein Weib vergessen ließ, am Abend dachte er mit Weh an sie.
Und so rückten die Jahre weiter, der Witwer ward ein armseliger Greis. Einmal nun ging er wie so oft hinab zum Teich und sah hinein, um das Fröschlein zu schauen mit der Narbe auf dem Rücken. Da schwamm es auf ihn zu, trat auf den Stein heraus und eine bildhübsche Frau stand vor dem zitternden Alten. Sie umfaßte ihn, liebkoste ihn, — und ein paar Stunden später fischte man den entseelten Leichnam des Greises aus dem Wasser.

Quelle: Burgsagen aus Steiermark, P. Romuald Pramberger, Seckau 1937, S. 21.
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