Die feindlichen Brüder.
Auf dem Grafenschloß hauste ein ungeheuer starker Graf, ein grober Mann, von dem die Untertanen viel zu leiden hatten.
Nun war auch in Seebach ein Schloß, und dort wohnte der Ritter von Seebach, der eine wunderschöne Tochter besaß; diese war viel umworben von den Herren der Umgebung. Auch der Freiberger nahte sich ihr, und sie schien den riesenstarken Kerl zu bevorzugen.
Der Freibergergraf aber war nicht mehr frei; er hatte eine Verwandte seiner Mutter auf der Burg und dieser hatte er die Ehe versprochen, zumal schon ein Kindlein zu erwarten war.
Eines Tages nun zechte der Freiberger wieder drüben beim Seebacher, und da mag es sehr lustig Zugegangen sein bis tief in die Nacht hinein.
Erst am nächsten Morgen kam der Freiberger Graf heim und war nicht wenig erschreckt, als er durch seine Muhme und Braut Vater von Zwillingen war.
Immer penzte und bettelte die kranke Braut den Grafen, er möge doch endlich einen Geistlichen rufen, um sich mit ihr trauen zu lassen und so dem unehrenhaften Leben ein Ende zu machen.
Er blieb ihr die Antwort schuldig; und die Mutter seiner Kinder begann zu sinnen und nachzudenken.
Besonders fiel ihr auf, daß er nun fast jeden Tag nach Seebach ritt.
Sollte er etwa auch dort Anschluß suchen? Sollte er sie, die arme Muhme, mit ihren zwei kleinen Kindern gar im Stiche lassen?
Und eines Tages sah sie zu ihrem Schrecken, daß der Graf, der Vater ihrer Kinder, einen fremden Ring mit rotem Stein am Finger trug, — und der Ring war der Seebacherin Eigentum.
In einer Nacht nun, als der Graf nach einem Zechgelage schwer betrunken in seinem Bette lag, ging sie in das Schlafzimmer und zog ihm den Ring vom Finger.
Dann ging sie schleunigst beim Morgengrauen hinein nach Seebach und warf ihrer vermeinten Nebenbuhlerin den Ring vor die Füße und beschimpfte sie.
Weinend und schwer gekränkt eilte das Mädchen zu ihrem Vater und beklagte sich. "Wie stehe ich da, Vater! Die Freibergerin ist so gut wie des Grafen Ehefrau und ich gelte als Ehebrecherin. Wer weiß, wie er mir den Ring entwendet hat."
Mit Mühe tröstete der Ritter seine Tochter und versprach ihr, sich zu rächen. Bald bot sich Gelegenheit dazu. Denn der ahnungslose Graf von Freiberg lud die Nachbarn zu einer Bärenjagd ein, und auch der Seebacher kam. Und da nun gelang es diesem, seine Tochter zu rächen. Während der Freiberger sich zu einer Quelle niederbeugte, stieß ihm der Seebacher den Hirschfänger von rückwärts in das Herz.
Quelle: Burgsagen aus Steiermark, P. Romuald Pramberger, Seckau 1937, S. 72.
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