Rotenfels
Vor mehreren Jahrhunderten lebte auf dem Schlosse Rotenfels ein edler Burggraf. Er stammte aus dem ritterlichen Geschlechte der Welzer und glich an wahrer Mannestugend vielen jener edlen Männer. Ihm zur Seite stand eine holdselige und tugendhafte Gattin, und diese wie auch ein fünfjähriges, munteres Knäblein machten des Burggrafen ganze Freude und Seligkeit aus, zumal wenn er von den Mühen und Anstrengungen im Dienste seines Kenn und Bischofs heimkehrte. Einst sprengte der Ritter, umgeben von seinen Reisigen, dem Städtchen Oberwölz zu und am Kohlgrubentor harrte seiner schon die Bürgerschaft, angetan mit dem besten Gewande; denn man wollte dem Bischof von Freising, dem obersten Grundherrn, entgegenziehen. Oben aber auf dem Schlosse saß die holde Frau und spielte mit ihrem munteren Söhnchen. Zeitweilig lugte sie durch das Fenster und auf die Straße hinab, auf der der festliche Zug daherkommen sollte.
Endlich kam er heran und bald konnten sie aus dem Gewühl ihren Gemahl unterscheiden, wie er dem Bischof zur Seite ritt und dieser sich mit ihm unterhielt. Und als sich der Zug dem Schlosse näherte, da hob sie den Knaben empor auf den breiten Fensterrand, auf daß er hinabschaue und sich an der Herrlichkeit des Zuges ergötze. In seiner Freude aber drängte sich der rasche Knabe zu weit von der Mutter weg, entglitt ihren schützenden Armen und stürzte über den steilen Fels in die furchtbare Tiefe. Starr vor Entsetzen sah der Ritter den Sturz seines einzigen Kindes, während die Menge ihren Schlecken durch lautes Schreien kundgab.
Hastig spornte der Ritter sein Pferd und sprengte in die Nähe der Stelle, wo der zarte Sprößling in seinem Blute liegen sollte; ihm solgte eilends mit seinen Begleitern der würdige Bischof.
Als nun der Vater und die Übrigen mit schreckerfüllten Herzen der Stelle sich nahten, wo der Knabe liegen sollte, da fanden sie ihn nicht tot, sondern fröhlich mit den herumliegenden Steinen spielend. Ein Fichtenbaum hatte mit seinen dichten, wiegenden Ästen das stürzende Kind aufgefangen und so, die Wucht des furchtbaren Sturzes mildernd, den Knaben sanft auf den Boden niedergleiten lassen. Innig riß der glückliche Vater das Kind an sein Herz und jubelnd und Gott lobend zog der Zug weiter den Weg zur Burg hinan.
Zum Andenken an diese wundersame Begebenheit ließ der Ritter in einer Felsnische zunächst der Stelle ein auf Holz gemaltes Bild anbringen, das noch viele Jahre von der wunderbaren Rettung berichtete.
Quelle: Burgsagen aus Steiermark, P. Romuald Pramberger, Seckau 1937, S. 53.
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