Der Mann ohne Schatten.
Der Pfleger auf Stein hatte zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, namens Erasmus, und drüben in der Höhlenburg Schallaun hatte die alte Besitzerin der Burg gleichfalls zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, namens Bertha.
Wie es halt schon geht, Murden diese jungen Leute einander sehr gut, was aber dem Pfleger auf Stein, einem sehr grausamen Mann, ganz und gar nicht paßte. Da starb die Burgherrin auf Schallaun, und die Geschwister aus der Burg Stein kamen hinüber zur Kühlenburg, um ihre Lieben an der Bahre der Mutter zu trösten. Ihnen aber eilte der erzürnte Pfleger nach, und wie er die vier jungen Leute an der Bahre antraf, erschlug er die eigene Tochter und deren Geliebten. Erasmus aber schlug den tobenden Vater zurück und entfloh der schrecklichen Stätte. Noch hörte er den Fluch des Vaters: "Dein eigener Schatten möge dich verderben!" Der Pfleger durchstöberte hernach die Höhle und fand das Bruchstück eines Briefes. Aus den wenigen Zeilen schloß er, daß er seinen eigenen Sohn Erasmus ermordet habe. Halb wahnsinnig vor Reue stellte er sich selbst dem Gerichte im Schlosse Stein und mußte hier Torturen bitterster Art ausstehen. —
Erasmus und Bertha aber hatten inzwischen am Fuße des Eisenhutes Unterkunft gefunden und konnten sich hier kümmerlich ernähren. Da hörte Erasmus von der Freimannshöhle erzählen, in der unermeßliche Schätze aufgespeichert seien, die ein Gespenst in Gestalt eines Freimanns sorgsam bewache. Er besuchte denselben in der Kühle, und bat diesen um so viel Geld, daß er und Bertha sich ernähren könnten und mußte als Gegengabe seinen Schatten verpfänden. "Vergiß nicht," sagte das Gespenst beim Überreichen der Geldstücke, "daß in dem Augenblicke, wo du den Schatten von mir verlangst, dein Leben für den Schatten eingetauscht wird."
Einige Tage konnten beide glücklich leben. Als sie aber am Kirchtag tanzen wollten, bemerkten die Leute, daß Erasmus ohne Schatten war, und flohen vor ihm.
Er wanderte deshalb mit Bertha in das Sölktal aus. Aber auch hier fanden sie keine Ruhe. Als sie erzählen hörten, daß der Pfleger von Stein demnächst hingerichtet werde, eilten sie in die Heimat zurück. Unterwegs starb Bertha und fand im Walde ihre letzte Ruhestätte. In Teuffenbach hörte Erasmus von dem am nächsten Tage stattfindenden Hochgericht sprechen, weshalb er sosort ins Schloß Stein hinaufstürmte. Hier kannte er ja jeden Winkel. Er fand den Gerichtsbüttel schlafend, nahm den Kerkerschlüssel, sperrte das Verlies auf, sprengte die Fesseln des Vaters und brachte ihn auf heimlichen Wegen ins Puxerloch zu einem Diener der verstorbenen Frau. Dann eilte er wieder nach Stein zurück, wo er im Verlies des Vaters Stelle einnahm. Wie überrascht waren da am andern Morgen der Oberrichter und seine Leute. Nachdem Erasmus gesagt hatte, daß er seinen Vater erschlagen und im Walde eingeschart, wie auch einige Bauern in der Sölk erschossen habe, Murde er zum Tode durch das Schwert verurteilt. "Nimm hin, verderblicher Geist, dein geheimnisvolles Geschenk!", flüsterte Erasmus. Da zeigte sich groß und schön sein Schatten im Augenblick, da das Haupt vom Rumpfe fiel.
"Er stirbt unschuldig", rief da eine Stimme. Es war die Stimme des Vaters, der dann an des Sohnes Seite tot zu Boden sank.
(Nach Schmutz nacherzählt.)
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Diese Sage wird aber auch anderer Art erzählt, wonach die Sölker Bauern des Erasmus Mangel an Schatten erkannten und ihn mit Pfeilen versolgten; er setzte sich zur Wehr und tötete mehrere Bauern, aber auch sein Weib verblutete im Walde an einer Pfeilwunde im Halse.
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