AGNES VON PFANNBERG
Ungefähr eine Stunde südlich vom Markte Frohnleiten liegen auf dem Gipfel eines Vorberges
die Überreste der vom Böhmenkönige Ottokar II. zerstörten Feste Pfannberg. Gespenstig ragt
ein massiver Turm gegen den Himmel empor, gleich einem steinernen Riesen, der viele
Jahrhunderte hindurch dem alles zerstörenden Einflusse der Zeit und der Menschen widerstanden;
an ihn schmiegen sich die spärlichen Überreste einer Kapelle, und rings herum erblickt man
nichts als halb oder ganz eingestürzte Mauern, von Sträuchern üppig überwuchertes Schuttgerölle
und da und dort die Überbleibsel eines Gewölbes oder eine steil abfallende Grundmauer.
Bernhard und Heinrich von Pfannberg, zwei Brüder, waren mit vielen tapferen Steirern dem
Böhmenkönige und damaligen Herzoge der Mark Steier, Ottokar II., zu Hilfe gegen die Preußen und
Litauer ins Feld gezogen, wurden aber nebst den Edlen Hartnid von Wildon, Wulfing von
Stubenberg, Ulrich von Liechtenstein u. a. fälschlich einer Verschwörung gegen König Ottokar
beschuldigt und gefangen gesetzt. Ende Mai des Jahres 1269 erschienen nun böhmische Söldner
vor Peggau und Pfannberg, brannten ersteres nieder und forderten die Besatzung der letzteren
Burg zur Übergabe auf.
Frau Agnes, die edle und hochherzige Gemahlin Bernhards von Pfannberg, über die Gefangennahme
ihres Gatten erbittert, war zur Verteidigung ihrer Stammburg entschlossen; sie hatte ein
tapferes Herz, wollte von einer Übergabe nichts wissen und ließ von den festen Mauern
Pfannbergs einen dichten Hagel von Wurfgeschossen aller Art auf die Feinde herniederprasseln.
Nun befahl der Befehlshaber der Böhmen, die Burg zu stürmen, büßte aber diesen Versuch mit
einem Drittel seiner Leute; darauf entschloß er sich zu einer regelrechten Belagerung der Burg.
Bereits vierzehn Tage lag der Feind vor Pfannberg, ohne daß er sich auch nur des kleinsten
Erfolges rühmen konnte. Eines Abends nun sahen einige Feinde einen kleinen Knaben lustig am
Nordabhange des Schloßberges herumklettern; es war dies das Söhnlein des Burgvogtes von
Pfannberg, das hier nach Erdbeeren suchte und, nachdem es deren zur Genüge gepflückt hatte,
plötzlich spurlos in einer Felsenspalte verschwand. Ein waghalsiger Böhme kletterte in
der Nacht den Schloßberg hinan, untersuchte die Felsspalte und fand, daß diese in
den Schloßhof der belagerten Feste führe. Darauf baute der böhmische Befehlshaber, dem
man diese Entdeckung sogleich mitgeteilt hatte, seinen Plan.
Am nächsten Tage sahen die Verteidiger die Feinde plötzlich das Lager abbrechen und
eiligst abziehen. Nun jubelten sie und freuten sich, der Söldlinge des Böhmenkönigs
so schnell ledig geworden zu sein. Aber sie jubelten zu frühe!
In ihrer Freude, daß nun der tapferen und treuen Besatzung wieder Tage der Ruhe und
des Friedens beschieden sein dürften, gab die heldenmütige Burgfrau den Ihrigen ein kleines
Mahl. Bis spät in die Nacht dauerte der Jubel auf Pfannberg, und die Schloßwachen selbst
nahmen daran Anteil, anstatt ihrer Pflicht eingedenk zu sein und nachzusehen, ob nicht
irgendwo die Gefahr des Verrates lauere. So kam es, daß niemand in der Feste es bemerkte,
wie sich gegen Mitternacht einzelne Bewaffnete vorsichtig dem nördlichen Berghange näherten
und denselben mit katzenartiger Behendigkeit hinaufkletterten. Bald hatte der Anführer,
es war dies jener böhmische Krieger, von welchem das Söhnlein des Burgvogtes beobachtet
worden war, die Felsspalte gefunden, und nun drang er mit seinen Söldnern in dieselbe
ein; sie erbrachen eine eiserne, jedoch schlecht verwahrte Tür und gelangten ohne jeden
Widerstand durch einen schmalen Gang in den inneren Burghof und mitten unter
die zechende Besatzung.
Während nun ein Teil der eingedrungenen Feinde alsogleich über die Verteidiger herfiel,
bemächtigten sich die übrigen des Tores und ließen eine andere Schar ein, welche im
Schutze des Waldschattens den Berg auf der entgegengesetzten Seite erstiegen hatte.
Ein gräßlicher Kampf entspann sich jetzt. Die meisten der Verteidiger fielen unter
den Schwertstreichen der Böhmen, und nur einem kleinen Häuflein, etwa zwanzig Mann,
gelang es, sich rechtzeitig in den großen, noch bestehenden Turm zu werfen und
das Tor desselben hinter sich zu verschließen.
Agnes von Pfannberg, die heldenmütige Burgfrau, befand sich eben in einem der
Turmgemächer, als der Feind in die Feste eindrang. Auf den ersten Lärm eilte
sie an das Fenster, überschaute mit raschem Blick die Gefahr, in der sie schwebte, und
eilte in die Waffenkammer. An alles andere eher und nur nicht an Ergebung denkend, nahm
sie Schild und Schwert zur Hand, trat dann kampfsprühenden Auges den wenigen ihr übrig
gebliebenen Getreuen entgegen und forderte sie mit kurzen, energischen Worten auf, sich
mit ihr mitten durch die Feinde einen Weg aus der Burg zu bahnen und lieber eines
rühmlichen Todes zu sterben, als sich in schimpfliche Gefangenschaft zu begeben.
Als die heldenmütige Gebieterin, schön anzuschauen wie eine Kriegsgöttin der
Alten, geendet hatte, jubelte die kleine tapfere Schar ihr begeistert zu. Alsbald flog
das Tor des Turmes auf, und dicht gedrängt um ihre Herrin, brachen die Todesmutigen hervor
und stürzten sich wie ein Ungewitter auf den überlegenen Feind. Vor den Wetterstreichen
ihrer Schwerter wichen die Söldlinge des Böhmenkönigs nach rechts und links zurück,
und die Verteidiger brachen sich Bahn bis zum Tore. Schon schien Rettung sicher, denn
die Feinde hatten vergessen, das Burgtor zu schließen, da sank die tapfere Burgherrin, von
einem feindlichen Speer am Schenkel verwundet, mit einem leisen Aufschrei in die Knie.
Bestürzt sahen die Verteidiger den Fall ihrer heldenmütigen Herrin, aber ehe sie noch
darüber zum Entschlusse gekommen, was sie nun zu tun hätten, waren sie vom Feinde umzingelt
und getötet. Nur zweien gelang es, dem gräßlichen Blutbade zu entkommen.
Währenddem rare sich Agnes von Pfannberg auf und streckte mit übermenschlicher Anstrengung
zwei der Böhmen, welche sich ihr in den Weg gestellt hatten, nieder, stürzte aber dann, von
einem wuchtigen Schwerthiebe getroffen und gleichzeitig von einer feindlichen Lanze
durchbohrt, neuerlich zu Boden. Ihr tapferes Herz hatte ausgeschlagen.
Mitten unter den Leichen der unglücklichen Verteidiger und ihrer eigenen Kameraden hielten
nun die Sieger ein schwelgerisches Freudenmahl, wobei all die Speisevorräte und Weine,
die sie in den Speichern und Kellern der mit Hinterlist eroberten Burg vorfanden,
aufgezehrt wurden. Und nachdem sie sich voll angezecht hatten, plünderten sie die Körper der
Gefallenen und suchten den Leichnam der heldenmütigen Gräfin, fanden aber denselben nicht.
König Ottokars Statthalter hatte nämlich, als er von dem Widerstande hörte, den die
Gemahlin des Grafen Bernhard von Pfannberg dem böhmischen Belagerungsheere entgegensetzt,
befohlen, Pfannberg auf alle Fälle zu zerstören und die schöne Burgherrin tot oder
lebend ihm nach Graz einzuliefern.
Jene zwei Getreuen, denen es gelungen war, aus der Burg zu entkommen, waren später vorsichtig
wieder zurückgekehrt und hatten unter dem Schutze des nächtlichen Dunkel die Leiche ihrer
heldenmütigen Gebieterin, während inzwischen die Feinde fleißig dem Weine zusprachen, mit
sich fortgenommen.
So kam es, daß die Sieger die Gesuchte nicht mehr fanden. In ihrem Unmute darüber steckten
sie vor ihrem Abzuge die Feste in Brand. Bald war Pfannberg ein rauchender Trümmerhaufen, und
nur der große Turm blieb, ein ernstes und düsteres Wahrzeichen böhmischer Willkürherrschaft im
schönen, grünen Steirerland.
Alljährlich in der Vollmondnacht des Monates Juni, zur mitternächtigen Stunde, wird es
auf Pfannbergs zerbröckelten Mauern rege. Da dringt das Gemurmel vieler Stimmen und
dumpfes Waffengeklirr, untermischt von dem Gewieher und Gestampfe der Rosse, an das Ohr
des durch das Murtal schreitenden Wanderers.
Und dann erscheint auf vorspringendem Gemäuer eine hohe Frauengestalt in weißem Kleide.
Unter dem blinkenden Helme, der den Kopf bedeckt, wallt reiches, goldiges Haar über die
Schultern herab; mit der Linken hält sie den Schild, in der Rechten ein breites
glitzerndes Schwert, und hinter ihr aus einem Torbogen drängen sich geisterhafte Kriegergestalten
hervor. Es ist dies die heldenmütige Gräfin Agnes von Pfannberg, die da in der Geisterstunde
mit ihrem getreuen Gefolge Umschau hält in dem schönen, einst von ihr beherrschten
Murtale, und auslugt nach den Feinden des Steirerlandes.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911