DIE AUFFINDUNG DES STEIRISCHEN ERZBERGES
Wenn man vom heutigen Markte Eisenerz den Erzbach durch das Münnichtal
hinaus verfolgt, so verenget sich da, wo der Bach des Leopoldsteinersees
herabrauscht, das Tal zwischen den himmelhohen, kantigen Felswänden
zu einer engen Schlucht. Rechts, hart neben der Straße am Fuße
der nördlichen Steinwand, erblickt man eine grottenartige Vertiefung
und in derselben manchmal das Spiel schwarzer Fische in dem dunklen Wasser
am Boden der Grotte. Einst, tausend Jahre vor Christo, zu König Davids
Zeiten soll es gewesen sein, bemerkten die Bergbewohner öfters eine
seltsame Menschengestalt aus jenen Höhlenfluten auftauchen und an
der Sonne sich gütlich tun. Sie beschlossen, dieses Geschöpf,
das sie für einen Wassermann hielten, zu fangen. In der Voraussicht,
daß sie dessen schlüpfrigen Fischleib mit den Händen nicht
würden festhalten können, ersannen sie eine List, die ihnen
auch gelang. Die Leute bekamen den durch Speise und Trank betäubten
und in ein innen mit Pechbeschmiertes Kleid verwickelten Wassermann wirklich
in ihre Gewalt. Voll Freude über ihren Fang, führten sie ihn
nun taleinwärts. Schon waren sie an die Stelle gekommen, von welcher
man zum erstenmal den Erzberg erblickt und wo nun nicht weit vom Schlosse
Leopoldstein ein gemauertes Wegkreuz steht. Aber hier wollte der Wassermann
nicht weiter; er sträubte sich mit Macht gegen seine Führer,
jammerte und bot hohe Geschenke für seine Loslassung an. "Laß
hören", sprachen die Bergbewohner, "was Du uns bieten kannst!"
Darauf erwiderte der Wassermann: "Wählet einen goldenen Fuß,
ein silbernes Herz oder einen eisernen Hut! Gold aber währt nur kurze
Zeit, Silber nicht lange, Eisen jedoch soll ewig dauern! Wählet nun!"
"Den eisernen Hut, ja, den wollen wir, den zeig' uns an!" riefen die Bergbewohner.
"Sehet, dort steht er, dort ist jener Berg, der Euch Eisenmetall für
eine Ewigkeit geben wird!" sagte der Wassermann und wies hin auf den nicht
fernen Erzberg.
Erzberg (Steiermark)
Bildarchiv
SAGEN.at, Nr. 26930
Seine Andeutung wurde als Wahrheit erprobt, worauf er nach seinem Verlangen
wieder zur Grotte zurückgebracht und in die dunkle Flut hinabgesenkt
wurde. Da bebten die Felsenberge rings umher; aus der Tiefe des Wassers
quoll Blut herauf und mit Hohngelächter rief eine Stimme, daß
man um das Beste erst noch nicht gefragt habe, um die Bedeutung des Kreuzes
in den Nüssen und um den Karfunkelstein! Nach der Volksvorstellung
nämlich hätte der hellstrahlende Karfunkel den Bergleuten in
den dunklen Schächten für ewige Zeiten ein natürliches
und nicht kostspieliges Grubenlicht gegeben. Was der Wassermann mit dem
Kreuze in den Nüssen habe andeuten wollen, weiß man mit Bestimmtheit
nicht zu enträtseln; man glaubt, er hätte damit Aufschlüsse
über den Gebrauch und den Nutzen des Kompasses für den Bergbau
geben wollen.
Nie nachher hatte man diesen Wassermann wiedergesehen, weder in jener
Grotte, noch im Leopoldsteinersee.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911