BERGFÄULEIN UND WILDSCHÜTZE
Eines der größten Gemsgebirge im steirischen Oberlande ist
das Fölzgebirge bei Eisenerz. Hier war vor mehreren Jahrhunderten
das Jagen und Schießen der Gemsen strengstens verboten, und deshalb
hatte Kaiser Maximilian I., der letzte Ritter, wie ihn die Geschichte
nennt, einen goldenen Schild mit dem kaiserlichen Adler daselbst anbringen
lassen, wovon denn auch die höchste Spitze dieses Gebirges den Namen
"Kaiserschild" erhalten hat. Auf der Südostseite der Fölzmauer
nun befindet sich eine aus Geröll bestehende Felsfläche, welche
die "Jungfernplan" genannt wird und der Eingang zu dem unterirdischen
Kristallpalast eines wunderschönen, guttätigen Bergfräuleins
sein soll, das man früher hier oft gesehen haben will, angetan mit
schneeweißen Gewändern und einer himmelblauen Binde um die
Hüften.
Das Kaiserschild, Eisenerz (Steiermark)
Bildarchiv
SAGEN.at, Nr. 23150, 1984
Einst jagte ein Wildschütze, nicht achtend des kaiserlichen Verbotes,
auf dem Fölzgebirge und verfolgte eine sich vor ihm flüchtende
Gemse bis auf die östliche Spitze des "Narrenkreuzes", zu dem das
Felsgebirge von der Jungfernplan aus sich erhebt. Das arme Tier sah keine
Rettung mehr: vor sich das todbringende Rohr des Wildschützen und
ringsum der furchtbare Abgrund. Da erschien dem Schützen plötzlich
das Bergfräulein und befahl ihm, die Gemsen auf diesem Gebirge in
Ruhe zu lassen, widrigenfalls sie ihn furchtbar strafen würde.
Der Wildschütze ließ wirklich von der Verfolgung des Tieres
ab und enthielt sich lange Zeit gänzlich des Wilderns. Da aber dieses
schon sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen war, so konnte er
der verbotenen Lust doch nicht auf die Dauer widerstehen und er griff
schließlich wieder zur Büchse.
Abermals lockte ihn einst eine Gemse aufs Fölzgebirge und auf die
Spitze des Narrenkreuzes. Schon wollte der Schütze seinen Schuß
abfeuern, da stand plötzlich vor ihm das erzürnte Bergfräulein
und stieß ihn zur Strafe, daß er ihr Gebot nicht geachtet,
in den furchtbaren Abgrund hinab. Einige Tage darauf fanden kaiserliche
Jäger seinen zerschmetterten Leichnam auf der Jungfernplan liegen.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911