DAS GOLDENE KALB

Der Weilberger Thomas war ein alter Bergknappe. Er hatte gerade so viel Verdienst, daß er und sein Weib auskommen konnten. Und doch war er damit nicht zufrieden, er wollte einen Schatz heben und so mit einein Male reich werden. Das hatte er sich in den Kopf gesetzt und richtig führte er es auch aus, d. h. er grub wohl nach einem Schatze, aber er fand ihn nicht.

In einer sternhellen Christnacht, während sich die anderen Leute auf dem Markte Eisenerz zum Kirchgange rüsteten, um in der heiligen Mette die Geburt Christi andachtsvoll zu feiern, schritt Weilberger Thomas über die schneebedeckte Talfläche dahin und den Lauskogel, einen kleinen Vorberg der vom Pfauenstein auslaufenden Kesselmauern, hinan. Mitten im Walde, hart neben dem Wege, welcher zur hohen Prossen führt, fand er eine durchwühlte Stelle, welche deutlich von hier versuchten Grabungen zeugte. Hier soll, wie man ihm gesagt hatte, in heidnischer Vorzeit ein goldenes Kalb vergraben worden sein.

Der Knappe stampfte mit den Füßen auf den Boden und es schien ihm, als ob dieser unterhalb hohl wäre. Dann richtete er sich sein Werkzeug, Haue und Spaten, zurecht und wartete nun, bis vom Turme der Oswaldkirche das Glockengeläute den Beginn der heiligen Christmette anzeigte. Und als dieses ertönte, begann er seine Arbeit.

Es war gerade Mitternacht. Mit einem Male fuhr ein großes, schwarzes Schwein mit schauerlichem Grunzen auf den Schatzgräber los. Doch dieser ließ sich nicht beirren. Er wußte, daß, wenn er sich umsehen würde, er des Todes wäre, und grub deshalb ohne Furcht und ohne aufzuschauen, weiter. Da lief das gespenstische Tier ungeheuer polternd fort und der Knappe hatte die erste Probe bestanden; doch harrten seiner deren noch zwei weitere.

Kaum war das schwarze Schwein verschwunden, erschien eine große Schlange mit furchtbaren Zähnen im Rachen, aus welchem Feuer und Schwefeldämpfe sprühten. Zischend und drohend stürzte sie sich auf den Schatzgräber, um ihn in Angst zu setzen. Doch dieser ließ sich nicht irre machen, grub rüstig weiter, und der Spuk verschwand.

Nun folgte die dritte und letzte, aber auch die am schwersten zu bestehende Probe. Schon klang die Haue dumpfer, schon stieß sie an den harten, metallenen Schatz, da sprengte plötzlich ein schwarzer Ritter in glänzender Rüstung auf schwarzem, feuerschnaubendem Rosse in sausendem Galopp daher, richtete an den Schatzgräber einige Fragen und sagte dann: "Hier nimm den Schatz!"

Bei diesen Worten blickte der Knappe, welcher bisher mutig ausgehalten hatte, auf, und weg war der Spuk; aber auch die Arbeit war umsonst und der Schatz verschwunden.

Schon mancher Schatzgräber soll nach der Bestehung der beiden ersten Proben das Gold durch die Erde leuchten gesehen haben, und doch war es nicht möglich, den Schatz zu heben; denn jeder noch schenkte den verlockenden Worten des Ritters Gehör, sah die Spukgestalt an, und nun war alle Mühe vergebens gewesen. Viele sollen an der Stelle tot aufgefunden worden sein; andere, welche lebend davongekommen waren, hatten in dieser Nacht weiße Haare und im Gesicht Falten bekommen, versanken in tiefes Nachdenken und starben bald darauf.

Und so war es auch dem Weilberger Thomas ergangen. Er wurde schweigsam und siechte langsam dahin, bis ihn eines Tages sein Weib tot im Bette fand.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911