DER BERGGEIST
In der Nähe des Marktes Weiz lebte ein ehrlicher Landmann mit seinem Weibe und Töchterchen. Er war nicht reich, auch nicht wohlhabend, sondern hatte gerade so viel, um sein Auskommen zu finden; aber trotzdem fühlte er sich vergnügt und zufrieden und wünschte sich kein anderes Los. Als der Bauer einst auf seinem Acker arbeitete, bemerkte er zwei Fremde, welche, vorsichtig nach allen Seiten spähend, sich am Saume des Waldes hinschlichen und endlich im Dickicht verschwanden. Der Bauer wußte, daß es Welsche waren, welche gern in den Gegenden des Schöckels, in den Schluchten um Weiz und Passail, am häufigsten aber am Lantsch erschienen, um nach edlen Erzen zu graben, die hier im Schoße der Erde liegen.
Durch das unstete Wesen der Fremden neugierig gemacht, beschloß der Bauer, denselben nachzuschleichen, um zu erfahren, was sie hier in dieser Gegend zu tun hätten. Also band er die vor den Pflug gespannten Ochsen an einen Zaun, schnitt sich vom nahen Gebüsche einen derben Prügel ab, und folgte den Spuren der beiden Männer. Nach einigem Klettern über abgerolltes Gestein gelangte er in die Nähe einer Höhle, an deren Eingang die beiden Fremden standen und prüfend den Sand beschauten, den sie hier an dieser Stelle eben aufgehoben hatten. Sie erschraken, als der Bauer sie anredete, dann aber wechselten beide verständnisvolle Blicke miteinander. Hierauf ließ sich der eine Fremde an einem Stricke, den er bei sich trug, in die Tiefe, gab aber bald wieder das Zeichen, und wurde nun von seinem Begleiter heraufgezogen. Darauf redeten beide in einer dem Landmanne unverständlichen Sprache miteinander, der Bauer aber trat an den Rand der Höhle und versuchte mit seinen Augen deren Tiefe zu messen. Aber schnell wie der Blitz ergriffen ihn die beiden Welschen und stürzten ihn kopfüber in die Höhle. Der Arme hörte nur noch das Hohngelächter der heimtückischen Männer, dann aber verlor er die Besinnung.
Als der Bauer wieder aufwachte, umgab ihn pechschwarze Nacht. Seine Glieder schmerzten ihn, denn er war sehr tief gefallen, doch hatte er sich weder Hand noch Fuß gebrochen. Dafür aber drohte ihm jetzt der Hungertod. In seiner Angst, gleichsam lebendig begraben zu sein, schrie er um Hilfe; aber niemand hörte ihn. Nun versuchte er, einen Ausweg zu finden, und tastete im Finstern langsam vorwärts. Nach seiner Meinung mußte er schon viele Stunden auf diese Weise in der Tiefe zugebracht haben, und da er endlich schon ganz ermüdet war, kniete er nieder und betete.
Da schlugen leise, zauberische Töne an sein Ohr. Ein purpurner Lichtstrahl zuckte in der Ferne auf und kam dann näher und näher. Nun ging der Purpurglanz in sanftes Blau über. Der Bauer sah sich in einer Zaubergrotte, worin, in allen Farben prangend, sich ein prachtvoller Regenbogen von einem Ende zum andern spann; Millionen Sternlein flimmerten an der Decke, und an den weiten Wänden glänzten Kristalle und Rubine. Vor sich aber sah der staunende Bauer einen See ausgebreitet, der sich in die unabsehbare Ferne verlor, und auf dessen Silberfläche sich blaue Flämmchen hin und her bewegten. Und dazu wurden die zauberischen Töne immer lauter, sie schienen immer näher zu kommen. Allmählich wich auch das anfangs dämmernde Licht einem blendenden Glanze.
Hoch aufgerichtet und mit vorwärts gebeugter Brust lauschte der Landmann der Dinge, die da kommen sollten. Jetzt glitt über die Wellen des Zaubersees ein Nachen; aus Morgenrot gewoben schien der Kiel, blau wie das Himmelsgewölbe waren die Segel, golden der Mast und golden die Ruder, welche funkelnde Perlen auf der Flut schaukelten. Je näher das seltsame Fahrzeug heran kam, desto milder wurde die wundervolle, zauberische Musik, bis sie endlich wieder in weiter Ferne zu vergehen schien. Im Schifflein aber erhob sich von dem aus silbernem Moose bestehenden Lager ein schöner, lieblicher Jüngling. In seinen grünlich schimmernden Haaren lag ein Kranz von Edelsteinen, ein mit funkelnden Smaragden besäter Mantel zog sich um seine Schultern, und ein Gürtel von Korallen umgab seine Mitte. In der Hand schwang er einen blendend hellen Stab, aus einem einzigen Edelstein gearbeitet.
Nun befahl der Berggeist, denn ein solcher war die seltsame Erscheinung, dem Landmanne, näher zu kommen. Und als dieser bis an den äußersten Uferrand vorgetreten war, sah der Geist, welcher ganz einem Jünglinge glich, obwohl seine ernste Miene im Gesichte andeutete, daß schon Jahrtausende über sein Haupt dahingegangen sein mochten, den Bauern mit strengen Blicken an und fragte ihn, was er hier wolle.
Der Bauer erzählte, wie er in diese Höhle gekommen sei, und sagte zum Schlusse, er wünsche sich nichts anderes, als bald wieder daheim bei Frau und Kind zu sein.
Ungläubig schüttelte der Berggeist sein Haupt und sagte: "Ihr Menschen strebt ja immer nur nach Gold und Edelsteinen! Fülle dir deine Taschen und deine Mütze nach Belieben von den Kostbarkeiten, die du hier siehst! Ich gestatte es dir."
Aber der Bauer blieb standhaft und sagte, er wünsche sich nichts anderes, als nur recht bald wieder bei den lieben Seinen zu sein und für sie, so gut es gehe, wieder das tägliche Brot verdienen zu können. Nochmals und dann zum dritten Male redete nun der Berggeist den Landmann an und ermahnte ihn, sich zu besinnen, denn die Zeit sei kurz, in der er sich gnädig erbitten ließe. Aber auch diesmal blieb der Bauer bei seinem Wunsche.
Nun wies der Geist auf das Gewand des Bauers und sagte neckend: Du willst nichts von mir haben, und doch hast du dich überdeckt mit meinem Eigentume, und deine Taschen sind voll mit Schätzen, die du meinem Boden entwenden willst!"
Erschrocken besah der Landmann seine Kleidung und bemerkte jetzt, daß er mitten im Glanze, von unzähligen hellen Lichtlein übergossen, dastand; er griff in die Taschen und fühlte, daß sie sich mit nassem Sande gefüllt hatten. Er wollte sich darob entschuldigen, daß ihm dies beim Falle widerfahren sei; aber der Berggeist schnitt ihm das Wort ab und sagte: "Bewahre den Schlamm und Sand an deinen Kleidern auf zur Erinnerung, daß du die Hallen des Berggeistes geschaut hast! Du sollst nicht sagen, der Berggeist habe einen Sterblichen reinen Herzens unbeschenkt entlassen!"
Darauf winkte er grüßend mit seinem Stabe. Nun erklang wieder die zauberische Musik, und der Nachen setzte sich in Bewegung; der Bauer wurde von unsichtbaren Händen emporgetragen. Er verlor die Besinnung und erwachte erst aus seiner Betäubung, als er sich vor der Höhle auf dem weichen Moosboden fühlte. Er bekreuzigte sich und glaubte, geschlafen und einen schweren Traum gehabt zu haben; aber seine ihn noch immer schmerzenden Glieder, der Schlamm an der Kleidung und der finstere, ihm grausig entgegengähnende Eingang zur Höhle überzeugten ihn, daß er nicht geträumt habe.
Er ging nun heimwärts, wo er von den Seinen schon schwer vermißt wurde, und erzählte ihnen sein wunderbares Erlebnis. Mehrere Tage dauerte es, bis der Bauer sich von allen Schmerzen frei fühlte. Seine feuchte Kleidung war in der Dachkammer zum Trocknen aufgehängt worden. Als dann die Tochter sich anschickte, dieselbe vom daran haftenden Schlamme zu befreien, und sie dieselbe tüchtig rieb, fielen hell glänzende Goldkörner, so groß wie Erbsen, ihr in den Schoß; auch aus den Taschen, die noch von Schlamm und Sand zu starren schienen, zog sie eine Handvoll solcher Körner heraus. Die Mutter schlug aus Verwunderung darüber die Hände zusammen; der Bauer aber sagte: "Das ist das Geschenk des Berggeistes; er lohnte es mir, daß ich nicht aus Gewinnsucht sein Reich betreten und um euretwegen seine Schätze ausgeschlagen hatte!"
Nun war der ehrliche Bauer plötzlich reich geworden. Aber er machte von seinem Schatze keinen üblen Gebrauch, sondern verwendete denselben weislich und legte dadurch den Grund zu seinem Glücke, indem er auch stets mit ehrfurchtsvollem Danke des gütigen Berggeistes gedachte.
Da er den Grund seines nunmehrigen Reichtumes jedermann, der es hören wollte, erzählte, so wurde auch sein Erlebnis bald überall bekannt. Viele hundert und wieder hundert Personen kamen zur Höhle und stiegen in die Tiefe hinab, in der Hoffnung, gleichfalls den Berggeist zu finden. Aber dieser ließ sich nicht blicken. Da wühlten nun die Goldgierigen im Schlamme und schleppten den Sand in ihren Taschen mit sich; aber der Schlamm blieb Schlamm und der Sand ebenfalls Sand - der gebührende Lohn für gemeinen Geiz und abscheuliche Habsucht.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911