DER LINDWURM VON GONOBITZ

Südlich vom Markte Gonobitz, im steirischen Unterlande, erhebt sich der Gonobitzberg, welcher im Innern hohl sein soll. Vor langer Zeit nun füllten den Berg unterirdische Gewässer, in denen ein abscheuliches Untier, ein Lindwurm, sein Spiel trieb. Dieser brach zuweilen aus dem Berge hervor und richtete dann jedesmal unter den Menschen und dem Viehe große Verheerungen an. Um sich diesen gefährlichen Feind vom Leibe zu halten, beschlossen die Bewohner des Marktes, dem Lindwurm alljährlich sechs weißgekleidete, bekränzte Jungfrauen zu überlassen, außerdem sollte auch noch der Pfarrer zu Gonobitz täglich vor dem Hochaltare in der Pfarrkirche eine heilige Messe lesen.

Eines Tages nun verschob der Pfarrherr die hl. Messe. Alsbald hörte man ein furchtbares Tosen und Krachen, welches aus dem Innern des Gonobitzberges zu kommen schien, und bald darauf entströmten diesem große Wassermengen, welche nicht nur den Markt, sondern das ganze obere Drautal unter Wasser setzten; Häuser fielen ein, Bäume wurden entwurzelt und fortgerissen, Menschen und Tiere standen in größter Lebensgefahr. Der Lindwurm war ausgebrochen, weil man das Gelöbnis nicht gehalten, und nun befahl der Pfarrer, ein Pferd herbeizuschaffen, um zur Kirche reiten zu können. Mit vieler Mühe wurde ein solches vor ihn gebracht, worauf er dann das Tier bestieg und in die Kirche ritt. Aber auch hier stand das Wasser schon so hoch, daß es ihm unmöglich schien, die hl. Messe stehend lesen zu können, weshalb er es auf dem Pferde sitzend tat.

Nachdem der Priester den Gottesdienst beendet hatte, verliefen sich die Gewässer; aber auch der Lindwurm verschwand und wurde seither nicht mehr gesehen. Noch sieht man vom Markte aus einen Felsen, welcher durch eiserne Doppelhaken zusammengehalten sein und den Eingang zu dem einst vom Lindwurm bewohnten und mit unterirdischen Gewässern gefüllten Innern des Gonobitzberges bilden soll.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911