DER WASSERMANN VOM GRUNDLSEE

An einem heiteren Morgen mag es gewesen sein, als vor vielen, vielen hundert Jahren die armen Bergler von Gößl in ihrem Einbäumel, dem aus einem Stamme gehöhlten Nachen, hinausfuhren in den Grundlsee und ihre Angel auswarfen nach der flinken Forelle. Wer war glücklicher als das arme Völklein um den See, wo alte Treue heimisch wohnt, wo die Falschheit noch nicht hingefunden - vielleicht auch heute noch nicht! Doch eines wollte diesen sonst so genügsamen Naturmenschen nicht einleuchten, nämlich daß sie ihr Salz von Hallstatt heraufbeziehen mußten, und sie grübelten darüber nach, ob nicht auch in ihren Bergen sich Kern, das ist Salz, vorfinden könnte.

Der  Wassermann vom Grundlsee© Maria Rehm

Der Wassermann vom Grundlsee
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm, für
SAGEN.at freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt


Als sie nun so auf dem Spiegel des Sees dahinglitten, plätscherte das Wasser auf der einen Seite ihres Einbäumels empor, und aus den Fluten tauchte das Gesicht eines Mannes empor, um dessen Nacken die Locken ganz wasserförmig flossen. Voll Mitleid zogen ihn die Fischer in das Schiffchen, ließen ihn aber vor Schrecken fallen, als sie sahen, daß er keine Füße, sondern einen fischartigen Unterleib hatte. Hiebei beschädigte sich der Wassermann und wurde darüber ungehalten; doch als die Leute mit ihm Mitleid zeigten und ihn mit Wasser übergossen, legte sich sein Unmut. Und bald wurde auch das Halbmännlein redselig und sagte: "Wißt Ihr! Mein süßes Element wird säuerlich und gibt Erwerb Euch allen! In Eueren Bergen lagert Kern; salzhandig rinnt's her und bei den zwei See-Traunen raucht's!"

Darauf gab sich das Männlein einen Schneller, und im Nu war es auch schon wieder im Wasser und sagte lachend: "Bei sauerer Arbeit werdet Ihr nicht übermütig werden!" Danach verschwand es, aus dem Wasser aber erscholl es immer schneller und leiser: "Salzhandig, salzhandig!" Da riefen die Fischer wie aus einem Munde, Sandling, Sandling meint er!" Und so ward es. Seitdem ist das salzgesättigte Wasser vom Sandlingberg, das Element des Wassermannes, der Ausseer Brot und Leben.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911