DER WELSCHE AM PFAFFENSTEIN
Ein Italiener stand bei einem Maurermeister in Eisenerz in Obersteiermark in Diensten. In
freien Stunden begab er sich häufig auf den Pfaffenstein, und wenn nicht, so blickte er
doch wenigstens oft und lange auf die Spitze dieses seltsam geformten Felsenkolosses, gleichsam
als suche oder beobachte er ängstlich eine Stelle auf demselben. Ein ihm sehr vertrauter Kamerad
und Freund fragte ihn deshalb, warum er denn gar so oft zum Pfaffenstein hinaufschaue.
Darauf erwiderte nun der Welsche: "Glaubst du denn, ich sei nur des Verdienstes wegen hier
in Arbeit? Das, was ich eigentlich brauche, hole ich mir von diesem Berge!" Mehr jedoch erfuhr
jener nicht.
Einst nun bemerkte er, daß der Italiener den Berg hinansteige. Er schlich ihm nach und sah
ihn durch eine kleine Öffnung in der Felsenwand des Berges verschwinden. Der Späher
schlich nun näher und verbarg sich im Gebüsche. Eine ziemlich geraume Weile dauerte es,
bis der Welsche aus dem Innern des Pfaffensteins wieder herauskam; er trag einen
vollgefüllten Sack in den Händen und ging damit mehr in das Dickicht. Abermals
schlich ihm der Lauerer nach und bemerkte nun, daß sein geheimnisvoller Freund eine
Schmelzpfanne aus dem Gebüsche hervorzog, darunter ein Feuer anfachte, sodann Steine
von lichtgrauer Farbe aus dem Sacke nahm, sie mit einem Hammer in kleine Stücke
zerschlug und in die Pfanne warf. Hierauf nahm er eine stark ausgehöhlte Steinplatte
und legte sie in der Nähe der Schmelzpfanne auf den Boden. Bald brodelte und zischte
es, und nun öffnete der Italiener eine Lücke in der Pfanne und eine weißglänzende
Erzmasse floß heraus und in die Höhlung der Platte. Nachdem der Fluß abgekühlt war,
steckte der Welsche das Metall in den Sack, verbarg Pfanne und Platte im Gebüsch
und brach dann auf.
Oft noch ging er hinauf auf den Pfaffenstein; als er aber einst dabei überrascht wurde,
verließ er die Gegend und wurde seitdem nie mehr gesehen. Der Maurergeselle, welcher
den Welschen belauscht hatte, meinte, daß es Zinn gewesen; einige Leute aber
hielten es für Silber, auf das ja auch zu seiner Zeit hier gebaut worden sein soll.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911