DIE DUHVILEN
Einst standen zwei Jünglinge, ein Wanderer und ein Holzknecht, am Rande des Urwaldes, der den Rücken des mächtig emporsteigenden Berges Goßnig, südlich von Greiß in Untersteier gelegen, bedeckte.
Ein alter Hirte, der sie bemerkt hatte, riet ihnen vom Betreten des Urwaldes ab. "Denn", sagte er, "da drinnen im Walde, im Schatten der Riesenbäume, hausen die furchtbaren Duhvilen, Waldfrauen, die es nicht dulden, daß man sie belausche oder an ihren Bäumen, die sie bewohnen, frevle. Des Tages über leben sie in den Tannen, und wenn in deren Wipfeln der Wind rauscht, dann scherzen und spielen sie miteinander; des Nachts aber, wenn der Vollmond am Himmel glänzt, schweben sie in ihren weißen Gewändern durch den Waldeshain und über die Wiese hin gegen Schloß Neu-Cilli an der Sann und tanzen so leicht im Kreise, als hätten sie Flügel. Nur von ferne und unbemerkt darf man ungestraft dem lustigen Treiben der Duhvilen zusehen. Den Wanderer, der in ihre Wohnung eindringt, den führen sie irre im dunklen Walde; den Holzfäller, der an ihre Bäume die Axt ansetzt, den aber strafen sie furchtbar, und nicht lebend mehr verläßt er den Wald."
Die beiden Jünglinge hörten den Hirten an, achteten aber nicht auf seine Warnungen. Der eine wollte die Duhvilen belauschen und sich an ihrem Anblicke laben, der andere aber ihrer Macht trotzen und ihre Sitze fällen, auf daß diese als stolze Masten die Schiffe auf hoher See zieren würden. Sie eilten rasch vorwärts und nicht lange danach hörte der Hirte den Schall der Axt; er bekreuzte sich und eilte von dannen. Bald türmten sich dunkle Wolken zusammen, Blitz auf Blitz durchzuckte die Lüfte, der Donner rollte unaufhörlich und in Strömen fiel der Regen nieder, so daß die Wildbäche anschwollen und aus ihren Betten traten; die ganze Nacht hindurch tobte das Unwetter und legte sich erst gegen Anbruch des Morgens.
Und die beiden Jünglinge? Der erstere saß des anderen Tages am Saume des Urwaldes und gedachte des Wunderbaren, das er in nächtlicher Weile geschaut; ein grünes Tannenreis zierte seinen Hut. Doch sagte er zu niemandem, was er gesehen, denn die Duhvilen, wenn auch furchtbar im Zorne, so doch wieder sonst so reizend und lieblich, hatten es ihm verboten, den Menschen zu sagen, was sie ihm erlaubt zu schauen. Vom zweiten aber, dem Holzfäller, hat man nichts mehr gesehen und gehört; nur der Wildbach schwemmte eine Holzaxt ans Ufer, und so hatte denn den Frevler wirklich die Rache der erzürnten Duhvilen erreicht.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911