DIE GRENZSTEINSETZER
Der Älpler hat strenge Begriffe und Anschauungen von Recht und Unrecht;
insbesondere verabscheut und verurteilt er es, wenn jemand auf unrechtmäßige
Weise sein Besitztum zu vergrößern und sich zu bereichern sucht.
Ein im Volke tief eingewurzelter Glaube ist es auch, daß, wer in
solcher böser Absicht einen Grenzstein verrückt, nach seinem
Tode so lange keine Ruhe im Grabe finden kann und als ruheloser Geist
in Gestalt eines kopflosen oder feurigen Mannes, als ein sogenanntes "Fuchtelmännchen"
; nächtlicherweise herumgespenstern muß, bis der Stein wieder
auf seinen rechtmäßigen Platz gesetzt worden.
Da ging einmal am Murboden, in der Nähe des Städtchens Knittelfeld,
ein altes Mütterchen des Abends nach dem Ave-Maria-Geläute über
eine Wiese. Es war schon finster, als die Frau plötzlich neben sich
seltsame Stimmen hörte. Sie blickte seitwärts und sah drei kopflose
Männergestalten mit breiten Hüten auf den bloßen Schultern.
Sie standen bei einem Grenzsteine, trugen ihn dann hin und her und sagten
dabei: "Da gehört er hin! nein dorthin! nein, da, daher!", und so
weiter. Das Mütterchen bekreuzte sich und eilte, ohne nochmals nach
den gespenstischen Männern zu sehen, weiter des Weges. Zu Hause angekommen,
erzählte dann die Frau den Ihrigen, daß sie einen Vater und
seine zwei Söhne, welche bereits verstorben seien und die sie in
ihren Jahren gut gekannt habe, gesehen hätte, wie dieselben den Grenzstein
hin und her trugen.
Grenzstein
© Berit
Mrugalska, 17. Februar 2004
* * *
Bei Tragöß lebte ein Bauer, der sich ein ungeheures Vermögen
durch Lug und Trug erworben hatte. Der schönste Grund gehörte
ihm, und er hatte denselben durch Versetzen des Grenzsteines.noch um ein
Beträchtliches vergrößert. Nach seinem Tode litt es nun
niemanden auf dem Bauerngute; wer es kaufte, bot es schnell wieder einem
zweiten zum Kaufe an und dieser dann wieder einem dritten. So wechselte
das Gut stets seine Besitzer. Keiner wollte bleiben, denn täglich
sah man zur Mitternachtsstunde einen Mann, glühendrot wie ein Feuerbrand,
mit einem Steine in den Händen Flur und Feld auf und ab rennen, und
hörte ihn dabei kläglich rufen: "Wohin, wohin leg' ich den Stein?"
Dieser Spuk vertrieb jeden Besitzer, jeden Dienstboten. Der schöne
Bauernhof blieb lange unbewohnt und der dazugehörige Grund und Boden
fiel so sehr im Werte, daß niemand mehr nur das geringste Anbot
machte, ja viele ihn nicht einmal zum Geschenke nehmen wollten.
Da lebte nun in derselben Gegend ein junger, rechtschaffener Keuschlerssohn.
Dieser dachte daran, ob er nicht den verrufenen Bauernhof auf billige
Weise erwerben könnte. Er ging deshalb zur Herrschaft, wo er freundlich
aufgenommen wurde und das ganze Bauerngut zum Geschenk erhielt.
Nun galt es, das Gespenst vom Hofe für immer zu vertreiben, und dazu
war auch der neue Besitzer fest entschlossen. Furchtlos ging er zur Mitternachtszeit
hinaus auf den Grund und sah schon von ferne die feurige Gestalt, die
immer größer wurde, je näher sie herankam; einen großen
Stein in den Händen, eilte die gespenstische Erscheinung den Rain
auf und ab und rief kläglich heulend: "Wohin, wohin leg' ich den
Stein?" "Ei", rief der unerschrockene junge Mann, "lege ihn dorthin, wo
du ihn aufgehoben hast!"
Da dankte ihm der Geist, eilte dann mit dem Steine zum Raine des Nachbarfeldes
und grub ihn daselbst ein. Eben dort hatte der Bauer bei Lebzeiten einst
den Rainstein versetzt, dadurch auch die Grenze verrückt und darauf
selbst einen falschen Schwur geleistet; und eben deswegen mußte
er nach seinem Tode als glühender Mann mit dem Rainsteine in den
Händen längs der verrückten Grenze ruhelos auf und ab wandeln.
Kaum war nun der Stein an seinem alten Platze, so war auch der Geist verschwunden
und erlöst; niemals wieder hörte noch sah man etwas von der
Spukgestalt. Der junge Bauer aber lebte seither glücklich und zufrieden
auf seinem stattlichen Gute, zu dem er auf so billige Weise gekommen war.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911