DIE NÄCHTLICHEN HEIDENREITER

Am Vorabende des hl. Ruperti-Tages soll es am Aichfelde, das sich zwischen Judenburg und Knittelfeld zu einer beträchtlichen Breite ausdehnt, gar grausig zugehen. Dumpf schallt es da aus dem Erdboden wie rasselnder Schwerterschlag, an beiden Ufern der Mur regt es sich, und dunkle, gespenstische Schatten stehen aus der Erde auf. Pferde stampfen und wiehern nah und fern, und um die zwölfte Stunde hausen wilde, bärtige Gestalten in fremder, schauriger Tracht auf schwarzen, schnaubenden Rossen, mit bläulich flammenden Lanzen in den Händen, wütend durch die Luft. Es sind dies die wilden Heidenreiter, und von ihnen erzählt die Sage folgendes:

Zu Anfang des achten Jahrhunderts kam der hl. Rupertus in die Gaue der Steiermark, in der damals zum größten Teile noch Awaren und Wenden ansässig waren, um inmitten der Wehrufe und des Waffengeklirres die Botschaft des inneren Friedens zu verkünden. Er kam auch in das obere Murtal und in die Gegenden des Aichfeldes, wo in den dunklen Eichenhainen die heidnischen Priester ihren Götzen grausame Menschenopfer brachten. Rupertus gründete die uralten Kirchen in Pöls und Kobenz und manch anderes Kirchlein; seine Worte fanden Eingang in die Herzen der armen Bedrängten, und bald hörten die Menschenopfer auf. Die Eichen, in deren Hainen die blutigen Opfer dargebracht wurden, fielen unter der Axt der Christen; die Götzenbilder wurden zertrümmert, und anstatt der Heiden wilden Gesangs ertönten sanfte, christliche Lieder. Wälder wurden ausgerodet, der Boden urbar gemacht, und bald wechselten goldene Saatenfelder ab mit den grünenden Wiesen und rauschenden Wäldern. Nachdem Rupertus so die christlichen Gemeinden eingeführt hatte, wandte er sich anderen Gegenden zu, um auch dort die Lehren des Evangeliums der Liebe zu verkünden. Aber die Heiden, welche die Ausbreitung des Christentums mit feindseligen Blicken ansahen, suchten dasselbe wieder auszurotten; ihre Wut, von den Götzenpriestern angefacht, erhob sich mehrere Male gegen das Christentum, so daß nach und nach alle christlichen Priester gemartert, die Bekenner niedergemetzelt und die Kirchen geschleift wurden.

Als nun Rupertus einst wieder in die Gefilde des oberen Murtales und des Aichfeldes kam, fand er, daß alle seine Bemühungen vergeblich gewesen und die christlichen Bekenner der Heidenwut zum Opfer gefallen waren. Felder und Wiesen lagen brach, Kirchen und Wohnhäuser waren zertrümmert, und überall, wo sein Auge sich hinwandte, erblickte er die Merkmale des Heidentums; von den Christen selbst sah er anfänglich niemanden. Dies tat ihm nun in der Seele wehe und er beschloß, seine Sendung nochmals zu beginnen. Unermüdet ging er von Berg zu Berg und tröstete die Bedrängten, welche aus Furcht vor den Heiden sich verborgen hielten. Er ermahnte sie, zusammenzustehen für die Lehren des Christentums und für Gottes Ehre und Ruhm zu streiten. Wohl spärlich und von geringer Zahl waren die Häuflein, die sich aus den Klüften und Wäldern hinauswagten, um sich ihren mächtigen und wilden Feinden entgegenzustellen. Aber sie vertrauten auf Gott und hofften, durch Gebet den Sieg zu erringen. Auf dem Aichfelde trafen sich die Christen und machten alle Anstalten, um die Heiden zu bekämpfen. Mit Begeisterung sprach Rupertus zu ihnen und forderte sie auf, für den wahren Glauben Leben und Blut zu opfern. Mit Gott habe er sein Bekehrungswerk begonnen, mit Gott wolle er es auch vollenden und der Herr werde gewiß seinen Streitern den Sieg verleihen! Auch die Heiden hatten sich zum Kampfe gegen die Christen gerüstet, denn sie waren entschlossen, dieselben gänzlich auszurotten. Hohnlachend betrachteten sie das kleine Häuflein der heldenmütigen Streiter, und nachdem sie ihre finsteren Götzen angerufen, stürzten sie sich mit ihren Rossen heulend und schreiend auf die Christen und schwangen dabei drohend ihre Streitäxte und Keulen. Da ertönte ein gräßliches Getümmel rings umher; der Himmel verfinsterte sich und durch die Lüfte zuckten flammende Blitze, begleitet vom furchtbaren Rollen des Donners. Und als die Heiden den Christen nahe waren, da erbebte die Erde und öffnete sich. In wildem Jagen stürzten sie in die schwarze Kluft, aus welcher rote Flammen schlugen, und als der letzte Heidenreiter im höllischen Schlunde verschwunden war, schloß sich die Erde wieder und die Christen sahen keine Spur mehr von ihren Drängern.

Am Vorabende des hl. Ruperti-Tages, wenn dunkle Wolken den Himmel bedecken und die Sturmesbraut sich heulend an den Felswänden bricht, da erstehen die wilden Heidenreiter aus ihren Gräbern, durchreiten die Lüfte, und wehe dem, der sich hinauswagt, sie machen auf Christen Jagd. Der gläubige Landmann legt sein Ohr auf den Erdboden und lauscht; und hört er dann ein wildes Heulen, das tief aus der Erde klingt, so meidet er es, vor das Haus zu gehen, und auch die Seinigen ziehen es vor, darin zu bleiben. Denn gar schrecklich ist es, wenn der wilde Zug der Heidenreiter in ihrer fremden, schaurigen Tracht, mit bläulich flammenden Lanzen bewaffnet, auf schwarzen, schnaubenden Rossen durch die Lüfte saust.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911