DIE ENTSTEHUNG DES GRAZER SCHLOß- UND KALVARIENBERGES
Einst kamen auf dem Schöckel viele Leute zusammen und sprachen von den Schönheiten
und Merkwürdigkeiten des herrlich grünen Steirerlandes. Ein grün gekleideter
Weidmannsgeselle, welcher unbemerkt hinzugetreten war und eine Weile zugehört hatte,
lachte darüber und sagte: "Ihr liebt Euer Land, Eueren Schöckel, aber dieser ist nur
ein Zwerg gegen den großen Rigi in der Schweiz. Wenn Ihr wollt, so setze ich
binnen 24 Stunden hier drei solche Kegel, wie der Schöckel, übereinander auf, aber
nur muß der erste Mensch, der dann diesen dreifach getünnten Felsen besteigt, mir gehören."
Die biederen Landleute hielten den fremden Jäger für einen Prahlhans, der sie nur zum
besten halten wollte, und gingen scherzweise auf seinen sonderbaren Antrag ein. Plötzlich
erhob sich vor ihren Augen am fernen Horizonte eine schwarze Wolke, stieg mit riesiger
Schnelligkeit immer höher herauf und lagerte sich alsbald über den Schöckel und das
ganze Murtal. Blitze durchzuckten die Luft, heftige Donnerschläge erdröhnten, und ein
furchtbarer Sturm erhob sich und zerriß die Wolke in der Mitte. Da wurde die Gestalt
des Weidmannes immer länger, sie erhob sich immer höher in die Luft, von zahlreichen
Blitzen begleitet, und flog nun sausend und funkensprühend nach Süden.
Der grüne Jäger war aber niemand anderer als der Teufel. Er eilte nach Afrika, rüttelte
dort mit der furchtbaren Gewalt aller seiner höllischen Kräfte an dem ungeheueren
Mondgebirge, brach von diesem eine riesige Felsmasse ab und lud sie sich auf den
Rücken. Darauf kehrte er wieder um und raste zurück ins Steirerland. Als der Teufel
über Wildon dahinflog, zog unten im Tale gerade eine Prozession daher; es war eben
die Osterwoche. Da erinnerte sich der Höllenfürst, daß er in dieser heiligen Zeit
keine Macht besitze. Nun schleuderte er den Felsen von seiner Schulter mit solcher
Gewalt auf das Murtal hinab, daß derselbe in zwei Teile barst; diese rollten der
Mur zu und blieben dann am Ufer derselben liegen. Der eine davon, der größere, ist
der jetzige Schloßberg, und der kleinere der Kalvarienberg. Der Teufel aber bohrte
sich voll Wut über das Mißlingen seiner Anstrengung ein großes Loch in den Schöckel
und fuhr durch dasselbe in die Hölle.
Eine zweite Sage von der Entstehung des Schloß- und Kalvarienberges bringt damit
auch den Ursprung der "drei Säcke" in Graz in Verbindung.
Als nämlich der Teufel einmal von der Langweile des höllischen Alltagslebens geplagt
wurde, sann er aus alter Gewohnheit darüber nach, welche böse Tat er wieder einmal
zum Verderben der Menschheit verüben könnte. Da ihm aber diesmal nach seiner
Meinung nichts Gescheites einfiel, so kam er auf den besonderen Einfall, einen
Berg aus Obersteier ins Welschland zu schleppen. Also machte er sich an diese
eigentümliche Teufelsarbeit, brach von einem ungeheueren Berge große Felsstücke los,
verpackte sie in drei Säcke und begann damit seine Reise durch die Luft. Als er ins
herrliche Grazerfeld kam, riß der erste Sack und sein Inhalt kollerte auf die
Erde hinab, wo er seither den Kalvarienberg bildet. Gleich darauf rissen
auch die beiden anderen Säcke, und ehe der Teufel sich's versah, stand der Schloßberg
vor seinen Augen. Voll Unmut über den ihm gespielten Streich, den er einem seiner
Feinde unter den Engeln zuschrieb, schleuderte er die leeren Säcke weg, und diese
bilden nun die "die drei Säcke" genannten Gassen, welche vom Hauptplatze weg
zwischen der Mur und dem Schloßberge sich hinziehen.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911