DIE ENTSTEHUNG VON GRAZ
Die schöne steirische Landeshauptstadt Graz hieß lange Zeit, selbst im vorigen Jahrhundert
noch, "Grätz". Über die Entstehung dieses Namens erzählt die Sage folgendes:
Am Isarstrande im Bayernland lebte einst ein Völkchen, das sich immer mehr ausbreitete und
bald keinen Platz mehr in seiner Heimat hatte. Da erhob es sich, um fortzuziehen weit
über Berg und Tal und in ferner Gegend sich neue Wohnsitze zu bauen. Es überschritt den
Inn, wanderte ins Gebiet der Hohen Tauern und gelangte so auf seinen Zügen an die
Quellen der Mur und, deren Laufe folgend, endlich in die herrliche Ebene des Grazerfeldes.
Da am Fuße des kolossalen Felsrückens mitten im Tale, des jetzigen Schloßberges, gefiel es
den fremden Wanderern gar sehr, und sie beschlossen, sich hier anzusiedeln. Also schlugen
sie da ihre Zelte auf, und bald widerhallte es in den uralten Forsten von den Axtschlägen
der deutschen Ankömmlinge. Neugierig sahen die Eingeborenen dem Treiben der fremden
Leute zu, und als sie einer nach dem Zwecke all' der Arbeiten fragte, erhielt er
zur Antwort, daß hier eine Stadt gebaut werden solle. Wohl äußerte der Fragende lächelnd
seine Zweifel über das Gelingen solcher Absicht, aber der muntere Bayer -
unbekümmert
Um Lachen und Geschwätz,
Singt lustig fort und zimmert
Und meint nur: "G'rät's, so g'rät's!"
Und seht, es ist geraten!
Bald stand am Saum der Mur
Die junge Stadt aus saaten-
Und rebenreicher Flur.
Sie steht noch bis zur Stunde,
Vom Alter nur verschönt,
Und laut aus manchem Munde,
Mein Grätz, dein Lob ertönt.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911