PESTSAGEN
Vor vielen hundert Jahren, als im Lande die Pest regierte, setzte sich oft ein überaus zierliches Vöglein auf eine, am Eingange in das Pusterwaldtal stehende Säule und sang mit hellklingender Stimme:
Dann stirbst nicht so schnell!"
Die Bewohner des Tales befolgten den Rat des Pestvögleins; sie aßen fleißig Wacholderbeeren und Pimpinellwurzel und blieben auch wirklich von der Seuche verschont.
Auf der Stubalpe sahen die Leute, welche das Vieh weideten, öfters aus einem Loche einen Rauch aufsteigen, welcher ganz einem Wölkchen glich. Da dann darauf jedesmal die Pest in der Gegend und überhaupt im Lande ausbrach, so wurde beschlossen, dieses Loch zu verschütten. Am Johannistage versammelten sich die Leute auf der Stubalpe, schlossen um das Loch einen Kreis und warfen unter Gebeten Steine und Erde in die Grube, bis diese voll war; dann aber pflanzten sie einen Baum darauf, und seitdem ist niemals wieder von der Stubalpe die Pestwolke aufgestiegen.
Einst zog die Pest in Gestalt eines alten Weibes in den Gegenden des Murbodens und Aichfeldes herum; wo sie sich zur Rast niederließ, dort brach dann auch bald die schreckliche Krankheit aus. Einmal ging das Pestweib von Weißkirchen schräge über das Tal in der Richtung nach Schönberg. Da es aber einige Tage vorher stark geregnet hatte, so war der lehmige Weg so durchweicht worden, daß das Pestweib bis über die Knöchel in den Lehm einsank und fast nicht weiter konnte. Da kehrte das Pestweib um, zog den Murstrom aufwärts, und Schönberg blieb von der bösen Seuche verschont.
Die Pestmutter kam nach Siebing, und da es schon spät nachts war, ersuchte sie einen Keuschler, namens Punzger, ihr eine Unterkunft im Stalle zu gewähren. Zum Danke dafür sagte nun die Pestmutter, es werde die Pest im Dorfe ausbrechen, doch solle er sich nicht fürchten und nur die Toten begraben, denn ihm würde nichts geschehen. Am anderen Tage begannen auch wirklich die Leute der Reihe nach hinzusterben. Der alte Punzger übernahm das Geschäft des Totengräbers; er führte die Leichen auf einem Karren auf die Tratten und begrub sie dort, wo noch jetzt das hölzerne Pestkreuz steht. Ihm geschah auch wirklich nichts, wie es die Pestmutter vorausgesagt hatte, doch wurde das Dorf abgesperrt und bei einem Kreuze an der Straße nach Weinburg eine Wache aufgestellt, die niemanden ein- und ausließ.
Als die Pestmutter von Siebing auch nach Rohrbach wollte, gingen ihr die Bewohner dieser Ortschaft betend und mit brennenden Kerzen in den Händen entgegen, und da kehrte dieselbe bei der Gemeindegrenze wiederum und ging weinend gegen Siebing zurück. Am Abend desselben Tages zogen die Rohrbacher dreimal betend ums Dorf. Nachdem sie das erstemal herumgekommen waren, sahen sie an der Grenze zwei Lichter brennen; als aber dann die Nacht hereingebrochen war, kam von Siebing ein glühendes Rad dahergerollt, welches aber nur bis zur Grenze gelangte. Rohrbach blieb damals auch wirklich von der Pest befreit.
Oberragnitz wurde zweimal nacheinander von der Pest heimgesucht. Bevor die Seuche das erstemal ausgebrochen, begegnete dem heimfahrenden Schmiede der Tod oder Pestmann, der ihm auch die Häuser ansagte, welche von der Pest verschont bleiben würden. Und es kam wirklich so, wie er es vorausgesagt hatte. Bevor die Krankheit das zweitemal zum Ausbruche kam, begegnete einem mit Holz aus dem Walde heimfahrenden Knechte das Pestweib in Gestalt einer alten, mühseligen Bettlerin, die ihn bat, sie auf den Wagen aufsitzen zu lassen. Er gestattete es und fuhr die Alte ins Dorf; unterwegs sagte ihm diese, daß die Pest hereinbrechen, jedoch ihm um seiner Barmherzigkeit willen nichts geschehen werde.
Zur Zeit, als die gefährlichen und ansteckenden Krankheiten im Lande regierten, betete der Nachtwächter von Oberschwarza allabendlich beim sogenannten Hollerkreuze einen Rosenkranz. Einmal hörte er nun dabei hinter sich ein Geräusch. Er blickte um und sah einen Mann mit einem zweiräderigen Karren daherkommen. Auf dem letzteren saß ein Weib, das einen Rechen in der Hand hatte. Der Nachtwächter hörte nun deutlich das Weib zum Manne sagen: "Tu' du glatt machen, ich werde glatt rechen!" Wie sie nun zum Hollerkreuze kamen und ins Dorf hinein wollten, konnten sie nicht mehr vorwärts: sie mußten umkehren und fuhren längs der Gemeindegrenze hinab gegen Unterschwarza. Hier begann der Mann zu mähen und das Weib zu rechen, und sie taten dies das ganze Dorf hindurch. Damals soll auch Unterschwarza gänzlich ausgestorben sein.
In Wagendorf sahen die Leute eines Abends, als es eben zum Ave-Maria-Gebete läutete, zu ihrer Verwunderung ein Wagenrad von dem oberen Ende des Ortes bis zum unteren hinablaufen; jedoch war niemand dabei gewesen, der das Rad in Lauf gesetzt hätte. Am anderen Morgen brach die Pest in Wagendorf aus. Eine Bäuerin ging nämlich zeitlich früh auf den Hof hinaus, um die Tauben zu füttern. Da flog vom Kobel eine weiße Taube nieder; das war die Pest. Die Bäuerin fiel sogleich um und war tot; auch ihre Tochter, welche die Schweine geflittert hatte, fiel, als sie in den Hof zurückkehrte, plötzlich zu Boden und starb. Diese Pesttaube war schon am Vorabende mit noch einem zweiten weißen Täubchen auf diesem Hofe, der dem Karglbauer gehörte, erschienen. Ein Bauer aus einem benachbarten Dorfe hatte nämlich zu Wagendorf in der Streuhütte auf demselben Hofe übernachten wollen, sah aber unter dem Taubenschlage zwei weiße Tauben am Boden herumklauben, und da ihm dies verdächtig schien, machte er sich auf und ging heim. Am anderen Tage ging nun das große Sterben durch das Dorf, das auch ganz abgesperrt wurde, so daß niemand herauskonnte. Von ungefähr sechshundert Personen blieben nur etliche fünfzig übrig; alle anderen fielen der Pest zum Opfer, die erst erlosch, als die Wagendorfer alljährlich eine Prozession nach Fernitz zu unternehmen gelobten.
Vor dieser Pest, welche im Jahre 1634 in Wagendorf gewütet hatte, wollte sich auch der Sohn des Karglbauers, dessen Frau und Tochter die ersten Opfer dieser schrecklichen Seuche gewesen waren, flüchten, jedoch schlug er, um sich später ausweisen zu können, daß Haus und Hof ihm gehören, im Hause einen hölzernen Keil ein. Als er nun wieder zurückkam und den Keil aus der Wand zog, drang aus dem Loche ein giftiger Atem oder Hauch hervor; es war dies der Pesthauch, welcher den jungen Karglbauer sogleich tötete.
Ungefähr dreißig Jahre später brach die Pest abermals zu Wagendorf aus. Als man nämlich die damals fast durchgehend aus Holz gezimmerten Häuser reinigte und aus den Spalten und Klüften im Gebälk alles herausnahm, was sich darinnen befand, als Papier und anderes Zeug, stieg aus den Öffnungen ein weißer Nebel in die Höhe auf. Es war dies ebenfalls die Pest, welche nun wieder alles im Orte ansteckte, und dann aber in Gestalt eines weißen Wölkchens von Wagendorf nach Gersdorf zog.
Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911