Der gebannte Dieb
Kam einmal ein Landstreicher in die Kirche zu St. Pauls und sah den reichen Schmuck, damit das Bildnis der schmerzhaften Mutter dort geziert war. Der verblendete ihm gewaltig die Augen; und weil er ganz allein in der Kirche war, so nahm er ihn weg und machte sich eilends davon. Wie er aber eine halbe Viertelstunde Weges zurückgelegt hatte, konnte er urplötzlich nimmer weiter und mußte auf der Straße zwischen St. Pauls und Unterrain stehen bleiben wie angemauert.
Ueber eine Weile kam ein Fuhrmann mit seinem Wagen dahergefahren; der sah den Menschen mitten im Wege stehen und rief ihm zu, er solle ausweichen. Als der andere entgegnete: er könne nicht vom Fleck, fragte der Fuhrmann natürlich nach dem Warum; da gestand der Dieb sein Verbrechen, und daß er die Mutter Gottes von St. Pauls ihres Schmuckes beraubt hätte. Der Fuhrmann riet ihm alsbald, er solle versuchen, wieder umzukehren. Der Dieb tat so, konnte ungehindert fortschreiten, ging eilends und trug das Geraubte an die heilige Stätte zurück, wo er von Herzen Reu und Leid machte - hat auch dergleichen nie mehr getan.
Zum Wahrzeichen des Geschehenen ward an der Stelle, wo der Dieb nimmer weiter kam, eine Kapelle errichtet, die noch steht.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 43ff