Die drei Jungfrauen zu Meransen
Das war in grauer Vorzeit, da kamen nach Tirol hereingewandert drei zarte Jungfrauen, die waren verfolgt von den Heiden und mußten flüchten in großer Not. Die einen sagen, daß es die Scharen Attilas, des Hunnenkönigs, gewesen, vor denen die drei Maide geflohen wären; etliche meinen: sie seien aus einer damals noch heidnischen deutschen oder fremdländischen Stadt entronnen, wo die eigenen Verwandten ihnen um ihres Glaubens willen nachgestellt hätten. Ein Ablaßbrief vom Jahre 1500 zählt die drei Heiligen zur Schar der elftausend Jungfrauen und bezeichnet sie als Martyrinnen. Im allgemeinen wird angenommen, daß sie aus Treue zu Christi Lehre heimlos in den Bergen irren mußten und zuerst im Dorf Latzfons ob Säben eine Stätte fanden. Aber die Häscher des Heidenkönigs fahndeten auch dort nach ihnen, oder - wie andere glauben - die Leute von Latzfons hingen selber noch dem Heidentum an und bedräuten die Jungfrauen, daß sie nicht fürder ihrem gekreuzigten Gotte dienen dürften. Also huben die Drei sich traurig von dannen und pilgerten weiter, ins heutige Pustertal, und stiegen den Berg hinan gen Meransen. Auf dem halben Berge mußten sie rasten, denn sie waren erschöpft vom rauhen Wege; auch hatten sie keine Labung bei sich und meinten zu verschmachten. Da sprach Aubeth, die Älteste:
"Ach, reicher Gott, du Herr alles Geschaffenen, beschere uns ein wenig Kühlung und Schirm vor der Sonnenglut, die uns den Scheitel versengt!"
Da entsproßte alsbald ein Baum, der seine Äste ausbreitete und ein schattendes Dach den Jungfrauen zu Häupten wölbte. Aber Kubeth, die zweite, sprach:
"O Gott und Herr, nun gedenke, daß wir hier ohne Nahrung verderben müssen, den Heiden ein Spott."
Da wurden die Zweige des Baumes schwer von süßen Kirschen - nach anderen wären es Äpfel gewesen, - die senkten sich zu den Mägdlein hernieder, daß sie sich daran erquickten. Doch war der Durst der Jüngsten, der zarten Gwerbet, noch nicht gestillt, und sie bat:
"Christus, mein Herre, du Quell des Lebens, hilf meiner Not, denn mich dürstet!"
Alsbald sprang aus dem Felsen ein Quell; davon tranken die Schwestern, netzten Haupt und Hände und dankten freudig dem Geber alles Guten. Sie stiegen nun vollends den Berg hinan und wurden zu Meransen gastlich aufgenommen. Dort blieben sie, unterwiesen die Bergbauern im Christentum und taten ihnen Gutes, wo sie vermochten. Durch ihre Fürbitte ward manch einer von bösem Siechtum geheilt; ihre Nähe und ihr Gebet brachten den Feldern Gedeihen, wehrten Viehsterb, schädliche Unwetter und schlimmen Zauber ab. Darum hielt das Volk die Drei in hohen Ehren und ließ sie an nichts Mangel leiden.
Ob sie bis an ihr Ende in Meransen verblieben und allda nach ihrem Tode bestattet sind, darüber geht die Überlieferung auseinander. Viel aber weiß sie zu melden von mannigfachen Wundern, welche die drei heiligen Jungfrauen bis in die neueste Zeit an ihrer Wohnstätte gewirkt haben. Ehemals hing in der Pfarrkirche zu Meransen eine pergamentene Tafel, die von solchen Wundern Zeugnis gab. Auch ist in dortiger Kirche ein Altar den drei Heiligen konsekriert, und sie sind neben dem eigentlichen Kirchpatron, dem hl. Jakobus, zu Schutzherrinnen bestellt worden. Das Vertrauen auf ihre Hilfe zog Scharen andächtiger Wallfahrer von nah und fern daher, allen voran die Latzfonser, die es schmerzlich gereute, solche holden und heilbringenden Gäste nicht bei sich gehalten zu haben. Aber sie taten den Bittgang nach Meransen nie umsonst; vielmehr ward ihnen das Erflehte, meist fruchtbare Witterung, stets nach der Heimkehr zuteil.
Auch die "Jungfernrast" oder "Linde" auf dem Wege von Mühlbach gen Meransen blieb ein Gegenstand allgemeiner Verehrung, als die Stätte, wo die heiligen Frauen ihre erste Wanderrast gehalten hatten. Daß in den Kriegsjahren 1797 und 1809 die Franzosen nie weiter als bis zur Jungfernrast gekommen sind, schrieben die Leute von Meransen allgemein der Fürbitte der drei Heiligen zu.
Auf dem Wege den Berg hinan wurde im Siebenundneunzigerjahr einer aus der heranrückenden Schar der Franzosen erschossen, von einem obenstehenden Landesschützen. Alsbald nahmen die übrigen Franzosen Reißaus, denn sie glaubten plötzlich, den ganzen Berg voller Bewaffneten zu sehen, während nur eine kleine Zahl sich oben befand. Ein andermal, als wieder ein Erkundungstrupp französischer Grenadiere hinaufzog, wurde ihr Marsch bei der Jungfernrast durch die seltsame Erscheinung dreier Jungfrauen gehemmt. Die eine war bewehrt mit einem Rechen, die andere mit einer Lanze und die dritte mit einer Heugabel. Und sie ließen die Feinde auf keine Weise vorbei, so daß diese sich zurückziehen mußten.
Noch einmal, im Jahre 1809, suchten, nach dem Kampf um die Mühlbacher Klause, die Franzosen gegen Meransen vorzudringen. Aber da sie bis zur Jungfernrast gelangt waren, deuchte sie es stehe der ganze Berg in Flammen, und in blendendem Glanz erschienen die heiligen Jungfrauen, die mit zürnender Gebärde den Feinden den Rückweg wiesen. Da wandten sich die Franzosen zur Flucht, und nachdem haben sie sich den Bergweg nach Meransen nicht mehr hinauf gewagt.
Alljährlich am 16. September wird, unter großem Zuzug der
Andächtigen von nah und fern, das Gedächtnis der drei Heiligen
festlich begangen.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 79ff