St. Petri Schwestern
St. Petrus hatte auch zwei Schwestern, eine große und eine kleine. Die Kleine ging ins Kloster und wurde eine Nonne; darob hatte St. Petrus große Freude und wollte die große Schwester auch dazu bereden. Aber die hatte keine Lust und meinte: sie wolle lieber heiraten.
St. Petrus ging fort von daheim und folgte unserem Herrn als sein Jünger nach. Er ward ein großer Apostel und erlitt zuletzt den heiligen Märtyrertod. Darnach wurde er, wie männiglich bekannt, von unserem Herrgott als Pförtner am Himmelstor bestellt.
Eines Tages sprach der liebe Herrgott zu ihm: "Petrus, mach heute das Himmelstor weit auf und stell auch alle Paramente und himmlischen Zieraten hinaus, denn es wird heute eine gar verdienstliche Seele ankommen."
Weil der Herrgott ihn dabei sacht lächelnd angeschaut hatte, ward
St. Petrus voll Freuden und dachte sich - "Gewiß ist meine
kleine Schwester gestorben und zieht heute in den Himmel ein." Als
nun das Tor weit offen stand und aller himmlische Zierat davorhing, da
kam die Seele seiner großen Schwester. Die war auf Erden gestorben
und hatte viele Kinder hinterlassen, welche ihr alle heiße Tränen
der Liebe und des Schmerzes nachweinten. Sie zog selig in den Himmel ein
und erhielt von unserem Herrgott einen gar hohen und vornehmen Platz,
damit sie dort ewiglich die himmlischen Freuden genieße. St. Petrus
sah es mit Staunen und dachte: "Das hätt ich nicht geglaubt.
Was werd ich wohl erst dann tun müssen, wenn einmal die Seele meiner
kleinen Schwester kommt?"
Es stand nicht lange an, da sprach unser Herrgott wieder zu ihm: "Petrus,
mach heute das Himmelstor ein klein wenig auf - aber nur ein klein wenig,
hörst du?
St. Petrus tat so und wunderte sich, wer da etwa kommen möchte. Es kam aber die Seele seiner kleinen Schwester, und zwar mußte sie sich so mühsam durchs Himmelstor hineinwinden und hineindrängen, daß sie sich recht wehe tat; auch bekam sie einen viel niedrigeren Platz im Himmel als die große Schwester.
St. Petrus war zu Anfang darob sehr betroffen, weil es so anders gekommen
war, als er gemeint hatte. Dann aber erkannte er, daß es nicht auf
den Stand ankommt, sondern auf die Besinnung des Menschen, und wie der
sich in seinem Stande verhält. Und er pries Gott, der einem jeden
die Möglichkeit gegeben hat, dafern er nur recht will, in den Himmel
zu kommen.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 66ff