Gottes Segen
Es war ein Bauer mit seinem Weib, die hatten viele kleine Kinder, mußten sich hart plagen und litten oft Mangel. Und wie es schon geht, ist es zwischen ihnen oti zum Warteln gekommen, denn wo die Not bei der Tür hereinschaut, fliegt die Lieb beim Fenster hinaus.
Einmal war der Bauer in der entfernten Kirche und hörte, wie der Pfarrer predigte: Alles käme darauf an, daß man Gottes Segen im Hause hätte. Der Mann kam heim und erzählte seiner Frau, die bei den Kindern geblieben war, von der Predigt. "Du bist ein Patsch" - sagte die Bäuerin, "zwui hast den Gottessegen nicht gleich mitgebracht?" - Das reute den Bauern jetzt selber, und er entschloß sich, schleunig wieder umzukehren und den geistlichen Herrn darum zu bitten. Jetzt war die Frage, was er mitnehmen sollte, um den Gottessegen darin zu tragen, ob einen Sack oder eine Kraxe? Die zwei Leute überlegten hin und her; endlich ging der Mann mit einem Sack.
Als er zurückkam, lief die Frau ihm noch mit einem Korb entgegen, wollte ihm den Segen tragen helfen. Aber der Bauer wehrte ihr und sagte: "O nein, der Segen Gottes war nicht schwer. Ich hab lei eine heilige Hostie erhalten."
Sie taten den Sack auf, aber fanden darin anstatt der hl. Hostie nur
ein ganz kleines Kind.
Das war der Frau nicht recht; sie maulte: "Was sollen wir mit noch
einem Kind! Wo wir eh schon ihrer fünf haben." Aber der Mann
redete ihr zu und meinte: "Geh, laß gut sein. Wo ihrer fünf
satt werden, wird auch noch das sechste satt." Also behielten sie
das Kind.
Eine lange Zeit stand es an, da kam der Geistliche, der dem Bauern den Gottessegen gegeben hatte, in die abgelegene Gegend, wo die zwei Leute ihr Heimatl hatten. Er erfragte das Haus und erkundigte sich zugleich bei den Nachbarn, wie es jetzt wohl dort stünde? "O," sagten die Nachbarn, "denen geht es sehr gut, seit sie das Kind, den Gottessegen, wie sie es nennen, im Hause haben. Alles gerat ihnen und herrscht eitel Friede und Freud bei ihnen."
Da ging der Geistliche hin und holte das Kind wieder ab. Die Bauersleute wollten es nicht hergeben, aber sie mußten. Wie sie darnach ihm und dem Kinde betrübt von der Schwelle Nachschauten sahen sie mit Verwunderung, daß er gar kein Kind trug, sondern er hielt die Hände vor der Brust gefaltet, so wie die Herren tun, wenn sie mit dem Hochwürdigsten Gut zu einem Kranken gehen. -
Wenn er ihnen den sichtbaren Segen auch weggenommen hatte, so blieb der
unsichtbare doch bei ihnen; denn ihnen und ihren Nachkommen ging es wohl
all ihr Lebtag.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 194ff