Das Vaterunser
Ein armes Weib wollte kirchfahlen gehen nach einem hochgelegenen Wallfahrtsort.
Sie sagte dem Wirt in ihrer Gemeinde, der zugleich Metzger war, davon,
da bat er sie, droben vor dem Gnadenbild Unserer Heben Frauen auch für
ihn ein Vaterunser zu beten. Wenn sie zurückkäme, wollte er
ihr dafür ein halbes Pfund Rindfleisch geben. Die Frau versprachs,
erfüllte auch gewissen" hast und andächtig ihr Versprechen.
Nach ihrer Heimkehr kam sie, das zugesagte Fleisch zu holen. Der Metzger
wollte es abwiegen; aber wie viel Fleisch er auch auf die Wage legte,
es wog noch immer kein halbes Pfund. Zuletzt legte er den halben Ochsen
darauf, aber auch der wog das Vaterunser nicht auf, so viel gut war es
gewesen. Da der Mann das gewahrte, behielt er die Frau, die das Vaterunser
gebetet hatte, bei sich und nährte und pflegte sie bis an ihren Tod.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 200