Von Sankt Vigilio
St. Vigilius, der teure Gottesmann, der um seiner Heiligkeit willen schon mit zwanzig Jahren zum Bischof von Trient gekürt worden, hatte im ganzen Umkreis seines Sprengels das Reich Christi herrlich gemehrt. Zuletzt war es nur noch das Tal Rendena in Judikarien, das festhielt am Heidentum. Da machte Vigilius sich auf mit seinen Brüdern Magorianus und Claudianus, und nahm auch den Priester Julianus mit sich, den Götzendienst zu stürzen. Bis zur Etschbrücke geleitete ihn das Volk von Trient und hatte großes Wehklagen, da sein liebster Hirte von ihm schied. Wo er nun unterwegs durchkam mit seinen Gefährten, da eilten die durch ihn Neubekehrten herbei und begehrten aus seiner Hand das heilige Abendmahl zu empfangen. Als er an das Ziel seiner Reise gelangt war, feierte er die heilige Messe, und da er das Opfer darbrachte, hob er sein Antlitz gen Himmel und sprach: "O Christe, ich sage Dir Dank, weil ich das, was ich von Dir begehrt, erlangt habe. Denn ich sehe mit meinen Augen in Deiner Hand, was mir zubereitet wird." Die Umstehenden aber sahen nichts als sein emporgewandtes Angesicht und die Tränen, die darüber rannen.
Gleich von dem Gottesdienst hinweg ging Vigilius, erhoben und gestärkt, zu der Stätte, wo ein ehernes Bildnis des Götzen Saturnus stand; das warf er vom Gestell herab, schlug es in Trümmer und stürzte es in die Sarca. Zuhand hub er an zu predigen mit großer Kühnheit und Macht, daß das herbeigelaufene Volk darob erstaunte. Aber viele der Bauern gerieten in unsinnige Wut wegen der Zerstörung ihres Götzen; sie drangen unter wildem Geschrei auf Vigllius ein und rafften große Feldsteine vom Boden, um ihn zu steinigen. Mit den Steinen und mit ihren schweren Holzschuhen, die heute "Knospen" genannt werden, warfen sie nach seinem Haupt; ärger noch als die Männer trieben es die Weiber, die schleppten hartgewordene Brotlaibe herzu und schleuderten sie auf ihn. Der Heilige entgegnete seinen Peinigern mit keinem Scheltwort, vielmehr betete er für sie und pries Gott, daß er ihm geschehen ließe wie dem heiligen Erzmärtyrer Stephanus. Aber da er den schmählichen Mißbrauch des lieben Brotes sah, entrüstete ihn die Entweihung der Gottesgabe, und er tat den Wunsch: in dieser Gegend sollte das Brot nie mehr geraten!
Da Sankt Vigilius unter der Steinigung verschieden war, hatten seine
drei Gefährten kein größeres Anliegen, als den heiligen
Leichnam zu bergen und nach Trient zu bringen. Es gelang ihnen, ihn den
Feinden zu entreißen und mit sich fort zu führen. Aber denen
von Rendena war es leid, daß sie sie hatten entkommen lassen, und
sie setzten ihnen nach. In der Nähe von Cadine hörten die Gläubigen,
die den Leib des Märtyrers trugen, die Verfolger dicht hinter sich;
vor ihnen aber war eine Felswand, die den Weg sperrte. In dieser Not riefen
sie dem Gestein zu:
"Öffne dich, Felsenhag,
Daß Sankt Vigilius hindurchziehn mag!"
Da tat der Felsen sich auf, und es entstand die Schlucht der Vela, die noch den Eingang nach Jubikarien bildet. Durch die kamen die Trauernden mit dem heiligen Leichnam zurück nach Trient, wo er mit großem Gepränge und noch größerem Jammer bestattet ward.
Die Verwünschung des Heiligen aber ist in Erfüllung gegangen:
im Dorfe Mortaso im Rendenatal, wo die Stätte von Vigilius Martertod
sich befindet, geht noch heute das Brot nicht auf.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 68ff