Die Wallfahrerin
Ein altes Weiblein war krank und verhieß der Mutter Gottes eine Wallfahrt nach dem heiligen Berg,*) wenn es wieder gesund würde. Die Frau wurde auch gesund und wollte nun die versprochene Wallfahrt antreten; aber sie hatte nichts, was sie zum Opfer mitnehmen konnte als eine Henne. Die nahm sie untern Arm und ging. Es war schon Spätherbst und die Kirche, die nur im Sommer geöffnet wird, war, da die Frau ankam, bereits verschlossen; der Mesner aber wollte sie ihr nicht noch einmal auftun. Da kniete sie mit der Henne unter dem Arm vor die Kirchtüre hin und betete, indem sie dachte: es wäre vielleicht auch so schon gut. Gählings tat sich vor ihr die Kirchtüre von selbst auf und die Alte ging erfreut hinein, vor den Hochaltar zu knien. Aber hinter ihr fiel die Türe wieder zu und sie war samt ihrer Henne eingesperrt.
Erst im Langes schloß der Mesner die Kirche wieder auf, nicht ahnend, daß irgend jemand darin überwintert hatte. Sieh, da kam hinter dem Altar das alte Weiblein hervor, hinter ihr die Henne und hinter der noch zwanzig junge Hühnlein. Unsere Frau hatte sie allesamt ernährt.
*) Maria Luschari in Kärnten, das im Pustertal
"Der heilige Berg heißt".
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 49f