Der ungerechte Richterspruch
Auf dem Richtplatz in Matzen wurde ein Wilderer zum Tode verurteilt. Man warf ihm vor, daß er einen Jäger erschossen habe.
"Warum muß ich sterben?" wehrte sich der Mann. "Gewildert habe ich wohl, mein Ahndl hat es getan, mein Vater auch, so liegts mir eben im Blut. Doch keiner von uns hat ein Menschenleben auf dem Gewissen. Am Tod des Jägers bin ich unschuldig ..."
Der Richter berief sich auf ein Gottesurteil, das die Wahrheit an den Tag bringen sollte. Der Angeklagte müßte einen Ring aus einem Kessel mit siedendem Wasser holen, könne er das tun, ohne irgendwelche Verbrennungen zu erleiden, sei damit seine Unschuld erwiesen. Im anderen Fall sei er als Mörder anzusehen.
Der Wilderer, dem dieses Verfahren nicht einleuchtete, weigerte sich.
"Nein, das tu ich nicht", sagte er entschieden, "es ist Frevel, was Ihr da verlangt!"
Er zog sich damit den Unmut des Richters zu, der nun das Urteil rechtskräftig machte. Nach dem bestehenden Gesetz sollte dem vermeintlichen Mörder der Kopf vom Rumpf getrennt werden.
"Ich bin mir keiner Blutschuld bewußt", wiederholte der Wilderer ein letztesmal, "und diejenigen, die meinen Tod für gerecht halten, müssen Gott um Gnade bitten!"
Der Unglückliche wurde enthauptet, der Richter aber fiel bald darauf in Wahnsinn. Wochenlang irrte er in den Wäldern umher. Er fand den Tod durch die Kugel eines Wilderers.
Quelle: Die Heidin, Alpbacher Sagenbuch, Berta Margreiter, Innsbruck 1986, S. 53.