Der Stier von Zulehen
Vor vielen Jahren hatten sie auf dem Zulehenhof in der Hygna einen großen, mächtig gebauten Stier. Dieses Tier aber war auch recht ungebärdig, und als der Bauer einmal in den Stall ging, bot sich ihm ein schrecklicher Anblick. Er fand die Fenster zerbrochen, die Kette abgerissen und den Futtertrog ganz zerbissen. Es schaute aus wie in einer Räuberhöhle, ja, viel schlimmer noch!
Die Stalltür war sperrangelweit offen, der Stier aber hatte das Weite gesucht, wer weiß wohin.
Der Bauer stand ganz verdattert da, er wußte, was es bedeutete, das wildgewordene Tier wieder einzufangen!
"Büx", so hieß es nämlich, "Büx", rief der Zulehenbauer, "was hast du mir nur angetan!"
Plötzlich aber fiel ihm ein, daß er ja eines gewissen Zaubers kundig war. Den konnte er in diesem Fall gewiß anwenden. Schnell lief er in die Machkammer, wo er sein Werkzeug aufbewahrte, dort holte er Nägel und einen Hammer.
An der Stiege, die zum Eingang des Hauses führte, schlug der Zulehenbauer zwei, drei dieser unscheinbaren Nägel hinein, und schon geschah das Unfaßbare:
Der Stier kam angerannt, wurde aber zahm und zahmer, je mehr er sich dem Stall näherte; widerstandslos ließ er sich hineinführen und an die Kette legen, wie er es gewohnt war.
Da freuten sich nun alle Leute auf Zulehen, die Familie und alle Dienstboten, Knechte und Mägde.
Wie es nur möglich war, mit einem so einfachen Mittel einen rebellischen
Stier zu zähmen, blieb ihnen allerdings ein Rätsel.
Quelle: Die Heidin, Alpbacher Sagenbuch, Berta Margreiter, Innsbruck 1986, S. 68.