Der Almputz, ohne Kopf
Ein Krämer mit der Kraxe auf dem Rücken durchwanderte vor etwa 50 Jahren fröhlich und wohlgemut das Pfitschtal und lagerte sich, als ihn plötzlich die Dunkelheit überraschte, in einer leeren Kaserhütte. Eine stürmische Nacht brach an, und der Regen rieselte in kalten Schauern vom Himmel. Donner krachten dazwischen, und blendend zischten feurige Blitzschlangen. Der Krämer kümmerte sich weder um Nacht noch Wetter, sondern machte es sich bequem in der verlassenen Hütte, rückte sich einen Stuhl zurecht, und bald flackerte auch schon ein lustig prasselndes Feuer zu seinen Füßen. Im Hintergründe der Hütte stand ein Butterkübel, woran noch ganz alte schmutzige Butter und Staub klebten, und daneben eine Melter. Zum Essen und zum Trinken war leider nichts vorhanden, und so machte sich der arme hungrige Krämer schon auf eine Nacht ohne Speise und Trank gefaßt und legte sich schlafen.
Doch wie er die Augen schließen wollte, erfolgte ein Donnerschlag, und bei dem Butterkübel erschien ein altes graues Männlein ohne Kopf, das emsig den Schmutz von dem Kübel in die Melter herabkratzte. - Schon hatte es den Kübel sauber gemacht, als es die Melter aufnahm und dem erschrockenen Krämer vors Gesicht hielt. Doch dieser hatte schon oft gehört, wie man sich solchen Geistern gegenüber zu benehmen hat; er bekreuzigte sich, und als er auch über die Melter ein Kreuz machte, siehe, da verwandelte sich der Schmutz und Staub in die reinste Milch, welche der durstige Krämer ohne Anstand an den Mund setzte und davon in raschen Zügen trank. Da wurde das klein zusammengeschrumpfte Männlein größer und größer, und ein graubärtiger Kopf wuchs ihm zwischen den Schultern hervor. Es dankte dem Krämer für seine Befreiung und sagte: "900 Jahre schmachte ich schon auf Erlösung, denn ich wurde zur Strafe für meine Verschwendung der edlen Gottesgabe, der Milch, die ich zum Reinigen der Gefäße anwandte, in ein kopfloses Männlein verwandelt. Du hast mich befreit, doch muß ich noch so lange auf Erden wandeln, bis diese Milch vollends ausgetrunken ist, dann erst kann ich in die ewige Seligkeit eingehen. Lebe wohl, und hüte dich vor Verschwendung, damit es dir nicht ergehe wie mir."
Nach diesen Worten verschwand er, der Krämer aber hat diese Geschichte
viele hundert Male erzählt, und seine Tochter, jetzt selbst eine
alte Krämerin, hat es dem erzählt, der es mir erzählt hat,
und wer es nicht glaubt, der muß die alte Krämerin selbst fragen.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 314.