Barwies und Stuarig
Das Dörflein Barwies, das mit zu der großen Gemeinde Miemingen
(Obermiemingen) zählt, soll ehemals eine ziemlich große Stadt
gewesen sein. Hinter derselben war auf einer Anhöhe ein großer
See gelegen. Die Einwohner der alten Stadt Barwies waren gottlos und gottvergessen,
gleich jener zu Tannensee. Dafür traf sie das Gottesgericht der Überflutung
und Verschüttung ihres Wohnortes. In einer schreckbaren, stürmischen
Nacht, als nach wiederholtem tollen Lustfrevel die Einwohner im tiefen
Schlaf lagen, brach der See aus und schob den Erd- und Felsendamm, der
nach Barwies zu lag, vor sich her, und so wurde die ganze Stadt unter
Schlamm und Flut, unter Gries und Kalkgerölle begraben und fast gänzlich
verschüttet. Noch ist die Stelle ersichtlich, die der See überstürzte,
sie heißt "Stadtl", und den ungeheuren Steinhaufen, der
über dem alten Barwies aufgetürmt ruht, nennen die Leute: "'s
Stuarig", nur einige Hütten blieben am Fuße dieser großartigen
Schutt- und Steinhalde stehen, das ist das heutige Barwies. Längst
erwuchs auf dem Stuarig ein Wald. Einst ging ein armer Holzhauer hinauf,
dort Holz zu fällen, und als es um 12 Uhr zum Gebet läutete,
sprach er andächtig den englischen Gruß und seufzte zu Gott,
daß dieser doch einmal seine drückende Armut mindern möge.
Darauf sah er mit einem Male unter den Waldbäumen eine große
eiserne Kiste stehen, auf der ein Bund Schlüssel lag. Der Holzhauer
begann mit diesen Schlüsseln den Versuch zu machen, die Kiste zu
öffnen, aber keiner wollte erschließen. Endlich der letzte
schien der rechte zu sein, nur drehte er sich nicht im Schlosse, welches
nicht minder wie die Schlüssel selbst ganz verrostet war. Das Probieren
verursachte gar einen eigenen grauenhaften Ton - und dem Manne wurde so
unheimlich, daß er die Schlüssel zu sich nahm, die Kiste versteckte
und von dannen eilte, um sich Gehilfen zu holen. Als er mit diesen wieder
zur Stelle kam, suchte er die Kiste vergebens - sie war und blieb verschwunden,
weil er nicht irgend etwas Geweihtes daraufgelegt hatte. So half ihm nun
der Schatz nichts, und es ging ihm wie andern, die viele Schlüssel
haben, aber eitel leere Kisten und Kasten.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 140