Der Brunnen des Öls
Neben der Kirche zu Untervintl im obern Pustertale, welche kaum hundert
Jahre alt ist, aber die ältesten Glocken Tirols besitzen soll, steht
noch ein kleines finsteres Kirchlein, in welchem aus einem Steine ein
wunderkräftiges Öl quoll. Niemand konnte sich diese seltene
Naturerscheinung erklären, da kein Steinkohlenlager in der Nähe
war und das Öl nur aus einem Quader im Fußboden drang. Bald
führte der Ruf dieser wunderbaren Quelle viele Pilger herbei, denen
sich dieses Öl heilsam bei Gichtschmerzen, Gliederreißen und
ähnlichen Leiden erwies. Das brachte dem Kirchlein zu Untervintl
manche Gabe frommer Dankbarkeit ein; denn allen Hilfesuchenden wurde das
Heilöl umsonst dargereicht. Endlich kam man auf den klugen Gedanken,
die Petroleumquelle zu einer Geldquelle zu machen und das Öl zu verkaufen,
und damit der Schatz im Kirchlein recht in die Augen falle, grub man die
Inschrift auf den Stein: "Brunnen des Öls 1500." Das fiel
nun allerdings in die Augen, aber von nun an fielen keine Gaben mehr auf
den Altar, denn das Öl blieb aus, und der Stein wurde so trocken
wie alle übrigen.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 322.