Der heilige Kreuzpartikel
Nahe bei Tarrenz liegen die düsteren Trümmer des Schlosses
Alt-Starkenberg. Dort hauste ein wilder Ritter, welcher vom Christentum
wenig oder nichts hielt. Um so frommer war der Bruder Starkenbergs, der
seinen Sitz auf dem nahen Schlosse Kronburg hatte, welches jetzt auch
nur mehr eine Ruine ist. Dieser Kronburger Starkenberger folgte seinem
frommen Drange und machte einen Kreuzzug in das Heilige Land, während
sein Bruder seine Kreuz- und Querzüge auf die heimatlichen Wälder
beschränkte. Jener war so glücklich, Jerusalem erobern zu helfen,
und gewann alldort ein ziemlich großes Stück vom Kreuze Christi,
das Wertvollste, was er mitbringen konnte. Diesen Kreuzpartikel schenkte
er seinem Bruder in der Absicht, vielleicht sein Herz zu rühren und
ihn für den Glauben zu gewinnen. Dieser aber - als der fromme Bruder
ihn verlassen - besah den Partikel um und um und sagte:
Schau - ein Stück faul's Holz,
Aus dem Fenster soll's!
und warf den Span vom heiligen Kreuze aus dem Fenster hinab in den Wallgraben. Welche Strafe für diese Missetat den Starkenberger ereilte, verkündigt die Sage nicht, jedenfalls wird sie empfindlich genug gewesen sein. Aber der Kreuzpartikel im Wallgraben unter Dornen und Disteln leuchtete jeden Abend und die Nacht hindurch so hell wie der Morgenstern; das gewahrte ein alter Diener, stieg mit Gefahr seines Lebens in den Graben und erhob die werte Reliquie. Er verehrte dieselbe in die Kirche zu Tarrenz, und noch heute wird dieser, dem Hochaltar dieser Kirche einverleibte, merkwürdige, große Kreuzpartikel allgemein verehrt und bewundert.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 181.