Die Mordhütte
Die Innschlucht bei Nauders im Morgengrauen
© Berit
Mrugalska, 17. September 2004
Da, wo gegenwärtig das Wohngebäude steht, welches an die Talsperre bei Nauders angebaut ist, stand vor ungefähr dreihundert Jahren ein Wirtshaus, dessen Wirt mehrere Dienstboten und Kinder hatte. Der viele Schnee im Winter und die damit verbundenen Gefahren bewegen den Wirt, die Kinder nach Nauders zu einem Verwandten in Kost und Wohnung zu geben, damit erstere nicht so weit, eine gute halbe Stunde, in die Schule zu gehen haben und keinen Gefahren ausgesetzt sein sollen. Als die Kinder bei ihrem Kostherrn, der ein Metzger war, eines Tagen sahen, wie er ein Kalb abschlachtete, sagte der kleine Knabe des Wirtes lachend: "So macht's mei Votar a mit'n Leut'n, die bei uns über Nacht bleiben." Solches hören und ins Gericht gehen, war bei dem Vetter eins. Er hielt es für seine Pflicht, davon Anzeige zu machen. Das Gericht, ohnehin in Kenntnis, daß aus der Umgebung viele Leute rätselhaft verschwunden waren, untersuchte das Wirtshaus und fand vierundachtzig Ermordete in den unterirdischen Gewölben. Wirt und Dienstboten, welche seine Mithelfer waren, wurden hingerichtet, das Haus ward der Erde gleichgemacht, und die Güter wurden zur Gründung eines Spitalfonds zu Nauders verwendet. Als später das jetzt stehende Wohnhaus aufgebaut wurde, fand man bei einer Grabung noch viele Menschengerippe, Knochen und Köpfe. Lange Zeit wurde der Ort gemieden, weil man mancherlei Geistergestalten und Lichtlein gesehen haben will. Seitdem aber das verrufene Haus von Soldaten besetzt ist und Kanonen ringsum stehen, scheinen die Geister ausgewandert zu sein, man hat nichts mehr gesehen, oder vielmehr, es darf nichts mehr gesehen werden.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 228.