Die glühenden Kohlen
Unweit Pians trägt eine kleine Anhöhe Reste eines zerfallenen alten Schlosses, das zum Bauernhöfe im Laufe der Zeiten herabsank. Niedrige Häuser und Hütten traten an die Stelle gewaltiger und trotziger Kemenaten und Burgstädel. Das Volk nennt die Trümmer wie das Gehöft Ischl (nicht mit Ischgl, dem Hauptorte des gleichnamigen Gerichtes im Paznauner Tale, zu verwechseln) und erzählt, daß man in den Trümmern an Festvorabenden oder an Quatembertagen klägliche Stimmen vernehmen kann, die um Erlösung flehen. "Heidnische Grafen" sollen das ehemalige Schloß erbaut, ihre Reichtümer den Umwohnern abgepreßt und sie dann an heimlichen Orten wohl verborgen haben. Dafür müßten sie nun zur Strafe hier bis zum Jüngsten Tage ihre Schätze hüten und ihrer Erlösung harren.
Ein Besitzer dieses Hofes hatte eine etwas kecke Magd, die vor nichts sich zu fürchten vorgab. Da sie die einzige Magd im Hause war, mußte sie fast alle Arbeiten besorgen; daher stand sie einmal auf, um für die Knechte das Frühmahl zu bereiten, in der Meinung, es sei die Morgendämmerung nicht mehr ferne; sie machte Licht und ging in den Keller, um die Milch zu holen: wie sie aber das Luck (die Falltür) aufmachte und in den Keller hinabstieg, sah sie unten eine Gesellschaft von mehreren "Grafen", welche eine besondere altmodische Kleidung anhatten und mit goldenen Kugeln auf goldene Kegel schoben, und neben der Kellerstiege erblickte sie glühende Kohlen unter einem Kessel. Die Magd fürchtete sich nicht und ließ die Grafen ihr Spiel fortsetzen, welche sich auch gar nicht um die Magd kümmerten. Sie nahm beim Fortgehen einige glühende Kohlen mit sich, denn sie fand das sehr erwünscht, weil sie auf dem Herde Feuer aufmachen mußte, und machte das Luck wieder zu. Aber als sie mit den vermeintlichen Kohlen das Holz anzünden wollte, da war's anders, denn sie waren auf einmal in herrlich funkelnde Kronentaler verwandelt, und im freudigen Schrecken rief die Magd die Hausbewohner wach, welche ihr jedoch keinen Dank wußten, sondern sie ausschalten, daß sie so früh Lärm machte, da doch kaum zwölf Uhr, die Mitternacht, vorüber sei; doch vernahmen sie die Erzählung der Dirne nicht ohne Verwunderung; und als sie die Kronentaler nun selbst besahen und befühlten und als echte anerkennen mußten, erwachte die menschliche Neigung, dergleichen auf so mühelosem Wege mehr zu erhalten, und so drängten die Hausgenossen Kopf an Kopf in den Keller; da waren aber weder Kugeln noch Kegel noch Kohlen zu erblicken, auch keine Grafen, sondern nur Kröten.
Außerordentlich ähnelt diese Sage einer, die zu Lorch am Rhein
bekannt ist; nur ist dort der Bauernhof eine Mühle, die Grafen sind
fremde Männer, und die Kronentaler sind Goldstücke.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 196.