Drei Frauen

Eine kleine Strecke südlich von dem heiligen Baum dehnt sich eine Ebene aus, ungefähr 200 Schritte in der Länge und 150 Schritte in der Breite. Auf diesem Platz soll einst ein schönes Schloß samt einem Kirchlein gestanden haben, in welchem, als in der Gegend von Nauders die Pest furchtbar wütete, drei Frauen wohnten, von denen aber um diese Zeit keine die Mauern ihres Schlosses verließ. Nachdem die Krankheit aus der Gegend verschwunden war, machten sich die drei Frauen voll Freude auf den Weg nach Nauders, hüpften und sangen, besonders als sie auf der Anhöhe vor dem Dorfe, "die obere Pitsche" genannt, anlangten, von der man ganz Nauders übersehen konnte, welches fast ausgestorben war und mehr einem Pestfriedhof als einem Dorfe glich. Auf dieser Anhöhe stand eine Kapelle, und als sie hier ankamen, fielen alle drei Frauen plötzlich tot nebeneinander nieder und blieben auch tot.

Friedhof von Nauders
Friedhof von Nauders
Rechts die zweigeschossige Friedhofskapelle

© Berit Mrugalska, 17. September 2004

Man hat sie hernach in den Friedhof nach Nauders hinein begraben, und das Schloß ist bald darnach verschwunden, bis auf einige kleine Mauerüberreste, die noch zu sehen sind. Übrigens haben ältere Leute vielfach erzählt, daß sich diese drei Frauen oder Fräulein als "Verwunschene" zum öftern haben blicken lassen, daß sie Hüterinnen der Schätze des versunkenen Schlosses seien und nur durch deren Hebung erlöst werden könnten. Zwei davon sind schneeweiß, die dritte ist halb weiß, halb schwarz. Noch sind sie unerlöst. Vor wenigen Jahren erst suchte ein Hirte in der Nähe des versunkenen Schlosses verlaufene Kühe, kam auf einen breiten, wohlerhaltenen Weg, dessen er sich gar nicht erinnern konnte, ihn je gesehen zu haben, und verfolgte denselben.

Weg unterhalb des Heiligbaumbodens
Weg (oder Mauer?) unterhalb des Heiligbaumbodens
© Berit Mrugalska, 17. September 2004

Er führte den Schloßhügel empor, aber als er droben war, begann ein wunderliches Rauschen rings um ihn her: alle vernommenen Mären und Sagen von dem unheimlichen Platze kamen ihm in den Sinn, von der Schlange, von den weißen und schwarzweißen Fräulein, von ... Voll Grausen eilte er zurück - der Weg war verschwunden - rings standen und starrten und kratzten Dornen und Disteln - und er lief, bis er in einem wilden Gestrüpp halbtot niedersank und nach Stunden erst den Heimweg fand.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 235.