Das Fingellerschloß

Unter der Trümmerburg Rafenstein, die über Bozen im Bezirke Sand an dessen oberstem Punkte hoch am Saumweg ins Sarntal liegt, erhebt sich ganz isoliert auf einem Felsen eine andere Ruine, die wenig bekannt ist und das Fingellerschloß heißt. Früher soll es Niedergoldeck geheißen haben, aber niemand weiß darüber gewisse Auskunft zu geben. Die Burg war nur von geringem Umfange, und die Volkssage erfüllt sie mit ihren Geheimnissen, Geistern, Jungfrauen, Schätzen, feurigen Hunden, glimmenden Kohlen und irrenden Lichtlein wie so manche andere. Wahrscheinlich erscheint, daß der Volksmund hier einen ritterlichen Namen verstümmelte und daß jene Burg das Vintler oder das Vinteler Schloß heißen muß und daß sie gleich dem noch immer wohnlich erhaltenen, durch seine sagengeschichtlichen Freskenmalereien anziehenden und vielbesuchten Schlosse Rungelstein ein Besitztum des edlen Geschlechtes der Vintler gewesen, vielleicht deren erstes, ältestes und früh verlassenes und verfallenes Stammschloß. Fingier und Vindler lassen sich leicht im Laufe der Jahrhunderte verschmelzen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 289