Der Fremdling auf dem Weifnerhofe

Einer der vier Freihöfe, deren Eigentümer sich von den Zeiten Friedrichs mit der leeren Tasche her die Freisassen von Goldegg nennen, weil der Genannte, den sie nach seiner Flucht von Konstanz gastlich aufnahmen und verbargen, sie mit diesem und andern Rechten begabte, heißt der Weifnerhof. Einst soll daselbst ein Schloß gestanden und Wiffe geheißen haben, was man, ob dies wahr oder unwahr, an seinen Ort gestellt sein lassen kann. Aber einst kam, so kündet die Sage, ein Knabe vom schönsten und vornehmsten Aussehen, obschon in schlichter Landestracht, auf den Weifnerhof, trat zum Meier und bot ihm seine Dienste an. Der Meier war ein Bauer, wie die Bauern sind, weder höflich noch fein. Er schaute den jungen Menschen ganz verwundert an und sagte: "Sakra! Du bist a rarer Bursch, dein Gesicht schaut aus wie Milch und Blut, und deine Tatzen sind fein wie Gitschnhänd (Mädchenhände). Du wirst was rechts schaffen im Stall und mit der Mistgabel! Höchstens kannst d' dir Geißen hüten, aber erst sag mir, wo d' herstammst, seit muß ich doch z'erst wissen."

Da sprach der schöne Knabe: "Ich bin ein armes verlassenes Kind, verstoßen ins Elend, unschuldig verfolgt, habe nicht Sippschaft noch Magschaft."

"Nun denn, so bleibe", sprach der Bauer, und der Knabe blieb und diente so treu, daß ersterer ihn herzlich liebgewann.

Es vergingen einige Jahre, da geschah es, daß der Bauer nach Bozen ritt und der Jüngling ihm das Pferd führte an schlechten Wegstellen. Als die Reise wieder heimwärts ging, schien die Sonne sehr heiß, und der Weg war sehr beschwerlich. Der Jüngling konnte die Hitze kaum aushallen und zog seinen Lendenkittel ab. "Zieh doch dein Leibl aus", ermunterte der Bauer, doch jener tat es nicht, er lüftete es nur. Wie aber der Meier vom Pferd herunterschaute, siehe, da blitzte auf des Jungen Brust etwas wie ein Sonnenstrahl, und jener nahm eine güldene Kette wahr, die also glänzte. "Mir scheint", sprach der Meier, "es wäre not, ich stiege vom Pferde und ließe dich reiten. Was trägst du da für ein Geschmeide, und wie kommst du dazu?"

Der Jüngling sprach: "Ich bin nicht der, der ich schien, und bin nun auch hier nicht mehr sicher, denn an dem Kleinod würden meine Feinde, die mir nachstellen, mich erkennen." Und als beide nach Hause gekommen waren, nahm der Jüngling traurig Abschied von dem Meier und ging von dannen, obschon ihn jener nicht ziehen lassen wollte.

Nach einiger Zeit kam der Meier in einem Geschäfte nach Verona, da sah er einen Zug ritterlicher Fürsten und Herren, und der an ihrer Spitze ritt, das war sein Schützling, war ein Kaisersohn, und herrlich wurde dann der Meier begabt, auch sein Hof frei gemacht von allen Lasten; das war kaiserlich, denn da hatte er etwas davon. Auch die besonderen Rechte der drei übrigen Goldegg-Freihöfe sollen aus jener Zeit herrühren. Es liegt nahe, zu denken, daß die Sage nur die geschichtliche Tatsache der Verborgenhaltung Friedrichs mit der leeren Tasche auf diesen Höfen in ihren Bereich zog und sie poetisch verklärte.


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 291.