Der gefrorene Wolfgang
Links ob der Alpbacher Ache am Eingang in das segensreiche Alpbachtal auf sonniger Ebene des Mittelgebirges liegt das Dorf Reith und eine halbe Stunde davon der Weiler Higna (Hignau), und noch eine halbe Stunde weiter ein- und aufwärts liegen noch drei andere Höfe nebeneinander. Einer derselben gehörte einem Manne, dessen Vorname Wolfgang war und dessen Zuname hier ungenannt bleiben soll. Dieser Wolfgang lebte vor ungefähr 350 Jahren und war in vieler Weise merkwürdig und seltsam. Er war als Bauerndoktor weit und breit berufen, half oftmals noch, wenn es andern Doktoren nicht mehr glücken und schicken wollte, und war im Besitz von mancherlei geheimen Künsten. So auch verstand er die Kunst des "Sichgefroren(fest, unverwundbar)-Machens" aus dem Grunde. Dabei war er von riesenhafter Gestalt und großer Körperkraft. Sonst war er ganz brav und dabei reich und angesehen in der Gemeinde, nur mit dem Pfarrer stand er sich nicht zum besten, der aber war ein fester, unerschrockener Mann. Da kam, es mag 1612 gewesen sein, ein "großer Sterb" ins untere Inntal, der raffte viele Leute dahin, und da wurde auf des Pfarrers Antrag von der Regierung angeordnet, daß die an der Pest Verstorbenen wegen der Nähe der Kirche und Wohnhäuser nicht auf dem gewöhnlichen Kirchhof, sondern abseits im freien Feld begraben werden sollten.
Zweigeschossige Friedhofskapelle in Reith im Alpbachtal,
mit Friedhof südl. der Pfarrkirche
geweiht den Hll. Michael und Margaretha (Fürsprecherin der Bergknappen)
© Berit
Mrugalska, 6. August 2004
So vernünftig aus Gesundheitsrücksichten diese Maßregel war, so erregte sie doch Mißstimmung bei den Bewohnern des ganzen Alpbachtales, und es war, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, des Schwätzens, Tadeins und Aufbegehrens, in den Wirtshäusern zumal, kein Ende, und der Wolfgang war der erste Wortführer und Sprecher. Er war aber kein bloßer Sprecher und Maulheld, wie deren jede bewegte Zeit so häufig gebiert wie eine Sumpflache schwarze Qualstern, sondern er tat, was er glaubte verantworten zu können vor Gott und seinem Gewissen; er begrub, ein zweiter Tobias, die Verstorbenen heimlich bei der Nacht im gewöhnlichen Kirchhof, damit sie, wie er sagte, nicht der geweihten Erde entbehrten. Das konnte nicht lange geheim bleiben, der Herr Pfarrer zu Reith zitierte den Wolfgang in den Widdum (Pfarrhaus) und hielt ihm einen sehr ernsten Strafsermon, wobei sich die beiden Männer fast bis zum Prügeln zankten und einander mit nicht Geringerem als Totschießen drohten; und weil der Streit sich nicht auf die Stube beschränkte, sondern Wolfgang nach draußen auf der Pfarrhofflur schalt, schimpfte und drohte, so zeigte ihm der Pfarrer seinen Jagdstutzen zum Fenster hinaus und drohte Feuer zu geben, wenn jener nicht Ruhe gäbe. "Schieß, du Schelm! Schieß in Teufels Namen!" schrie der Wolfgang, darob erschrak der gereizte Pfarrer so sehr, daß er blindlings abdrückte, den wilden Mann zu verscheuchen, aber die Kugel fuhr jenem gerade auf die Brust, Wolfgang schlug eine helle Lache auf, fing die Kugel, die von der Brust abprallte, flugs mit der Hand auf und warf sie dem Pfarrer an den Kopf, der nun seinerseits entsetzt vom Fenster wegsprang.
Pfarrkirche St. Petrus, Reith im Alpbachtal
einzig die Volutenfassade an der Strasse ist nicht vom Friedhof umgeben
Barockneubau v. Andre Huber, klassizistische Deckenmalerei v. Josef Schöpf
In Verwahrung, eine Glocke des Gregor Löffler aus Innsbruck, 1560
Vgl. DEHIO-Tirol, S. 636
© Berit
Mrugalska, 6. August 2004
Der Wolfgang aber ging von Reith hinweg auf sein Gehöft und kam
fortan nicht mehr herab in die Pfarrkirche zu St. Peter in Reith, sondern
er ging nach dem entfernten Alpbach in die St.-Oswald-Kirche, denn er
war, wie schon bemerkt, ein guter Christ, wenn er sich auch durch die
Weißkunst mitunter g'fror'n machte. Der Pfarrer zu Reith aber verketzerte
und verfolgte den Wolfgang, wo er konnte, und vornehmlich, da er nun überzeugt
war, daß sein Feind sich g'fror'n machen konnte, was er, der von
der Weißkunst nichts wissen wollte, für eine Teufelskunst erklärte.
Und da ist nach einer Weile doch der starke Wolfgang dem Pfarrer von Reith
erlegen; wie, darüber verwirren sich die Sagen. Einige sprechen,
Wolfgang sei an Gift gestorben, andere, der Pfarrer habe ihn totgebetet,
welches auch eine vom gottlosen Aberglauben für möglich gehaltene
und geübte Kunst war; aber das wollen die meisten wissen, daß
der Pfarrer den Wolfgang also verwünscht habe, daß sein Leib
nimmer in der Erde ruhen solle, weil er unberufene und verbotene Totengräberei
getrieben habe und ein Teufelsbündner gewesen sei. Aus gleichem Grunde
setzte es der Pfarrer durch, daß Wolfgang auf dem geweihten Reither
Kirchhof nicht begraben ward, sondern auf einem der ihm gehörigen
Felder verscharrt wurde. Sieben Jahre vergingen, da lag Wolfgangs Leiche,
noch völlig so beschaffen, wie bei seiner Einsenkung und unverwest,
mitten im freien Felde, und man sah mit Schauder, daß Wolfgang auch
gegen die Verwesung gefroren sei. Er wurde wiederum eingescharrt und war
nach abermals 7 Jahren wieder da. Man grub ihn noch tiefer ein und immer
tiefer, und er kam immer wieder regelmäßig alle 7 Jahre zum
Vorschein. Da wurde viel gebetet, exorziert und Segen gesprochen, und
das half mindestens so viel, daß der gefrorene Wolfgang längere
Pausen seines Wiedererscheinens machte. Das Feld, in welches Wolfgang
verscharrt war, gehört zum Dummahof, und bei jedem dritten Besitzer
dieses Hofes läßt sich der Wolfgang auspflügen. Ein wohlbekannter
Ökonomiepächter hat für gewiß und wahrhaftig erzählt,
daß er als Knabe von 10 Jahren Anno 1819 den Wolfgang gesehen und
bei seiner Wiedereingrabung, die kein kleines Aufsehen im Tale gemacht
habe, zugegen gewesen sei. Man deckte damals große Steine auf Wolfgangs
Grab, aber siehe da, Anno 1853 - pflügte ihn der damalige Besitzer
des Dummahofes unvermutet abermals aus, grub ihn jedoch, um kein Aufsehen
zu erregen und dem dritten Besitzer des Hofes nach ihm auch etwas vergönnend,
in aller Stille und so bald als möglich so tief wieder ein, als er
nur immer konnte. Jener zornige Pfarrer soll aber, wie einige Talbewohner
erzählen, auch jähen Todes verstorben sein. Nach deren Aussage
hätte derselbe Wolfgangs Tod gar nicht erlebt, sondern habe, als
Wolfgang die Wirkung des ihm durch seine Tücke beigebrachten Giftes
empfunden, einen Krötenstein verschluckt und dadurch alsobald alles
Gift im Leib an sich gezogen. Darauf aber habe der Wolfgang über
seiner Haustür neben magischen Sprüchen den vollen Namen des
Pfarrers geschrieben und habe mit einer gläsernen Zauberkugel nach
ihm geschossen, und in dem Augenblicke des Schusses, der im Oaslahofe
fiel, welchen Wolfgang zu eigen hatte, stürzte der Pfarrer in Reith
entseelt zu Boden.