Die Glocke zu Rodeneck
Den Rodeneckern kam einmal, es weiß niemand mehr, aus welcher Ursache, der Einfall in die Köpfe, ihre geweihte Glocke an eine Nachbargemeinde gegen eine andere zu vertauschen. Nachdem diese unter Müh' und Schweiß vom Kirchturm herabgebracht war, wurde sie auf einen eichenen Wagen geladen. Als das Fuhrwerk an die Grenze des Gemeindebezirkes gelangte, standen die Rosse plötzlich still. Sie waren mit Schreien und Geißelhieben nicht um ein Haar breit von der Stelle zu bringen, und es war nicht anders, als ob eine feste Mauer vor ihren Köpfen stände. Es wurde von den nächstgelegenen Häusern Vorspann herbeigeholt, aber alles umsonst. Ja man spannte nach und nach sämtliche Pferde und Zugtiere der Gemeinde vor den Wagen. Allein was richteten sie auch alle mitsammen aus? Nicht einmal ums Kennen mehr, als wenn ein schwaches Kind mit seinen Händlein an der Deichsel gerüttelt hätte. Wie aber die Rodenecker von ihrem Beginnen noch nicht abstehen wollten, da fing die Glocke zu reden an und sprach:
Anna Maria heiß'i,
Alle Wetter weiß i,
Alle Wetter vertreib'i,
Und zu Rodeneck bleib' i!
Nun kehrten sie alsogleich um, ohne sich vorher lange zu beraten. Heimwärts
aber ging es mit dem schweren Wagen so leicht - man konnte gar nicht merken,
daß die Stränge angezogen wurden. Seitdem hängt diese
Glocke wieder im Kirchturm und treibt mit ihrem Ton alle gefahrdrohenden
Wetter gar kräftig über die Berge weg.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 324.