Der eifersüchtige Graf
In dem noch immer stattlichen und wohnlichen Schlosse Bruck, westlich von Lienz am Schloßberge, wohnte Graf Leonhard von Görz, der von rauher, heftiger Gemütsart, dem Trunk ergeben und über alle Maßen eifersüchtig war, obschon seine tugendsame Gemahlin ihm nie dazu Anlaß gab noch gegeben hatte. Da gab es oft grausame und harte Szenen. So riß der Graf manchmal seine Kinder aus dem Schlafe, wenn er im Rausche war, und bot ihnen Wein. Wenn nun die armen, erschrockenen und schlaftrunkenen Geschöpfe den Wein nicht annehmen wollten, so mißhandelte er sie und schrie seine Gemahlin an, ihre Kinder seien nicht die seinen, sondern Bastarde, sonst würden sie wohl Wein trinken wie er. Einst, als er wieder einmal vom Teufel der Eifersucht ganz und gar besessen war, gab er vor, er wolle nach Brixen reisen, verließ Schloß Bruck, kehrte aber nachts heimlich zurück und spähte in das Schlafzimmer seiner schuldlosen Gemahlin mit lauernden Blicken. Er sah die vom Schmerz gebeugte Frau vor ihrem Bette kniend, das Haupt in die Kissen gedrückt, und hörte sie leise flüstern; rasch stürzte er in das Zimmer und riß sie in höchster Wut hinweg und die Decke auf, um den vermeintlichen Buhlen zu entfernen. Da lag ein Kruzifix, vor dem sie ihr schweres Leid ausgeweint hatte. Wohl sah nun der Graf sein Unrecht, und es kam ihm die Reue, aber die Frau starb infolge des Schreckens, und nun wandelt Leonhard von Görz nächtlicherweile, dunklen Anzuges und glühenden Gesichtes in den Gängen des Schlosses, und es ist nicht gut, ihm zu begegnen.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben
von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 335.