Hexenfahrt in den Weinkeller
Im Dorfe Mötz bei Stams lebte eine fromme, christlich gesinnte Witwe,
die sehr geachtet war wegen ihrer großen Wohltätigkeit. In
ihrem Hause wohnten mit ihr drei Freundinnen zusammen, mit denen sie meist
ihre Abende gesellig zubrachte; ein Knecht versah die Ökonomiegeschäfte
der wohlhabenden Witwe. An einem schönen Sommerabend schlugen jene
Freundinnen, welche alle arge Hexen waren, ohne daß die Witwe dies
wußte, der letzteren einen Spaziergang vor, und ohne Arg willigte
sie ein. Als die Lustwandelnden eine Strecke gegangen waren, standen vier
Geißböcke am Wege, und schnell zwangen die Freundinnen die
Witwe auf einen derselben, schwangen sich auf die drei andern und schrien:
"Hui auf! "Da erhoben sich die Böcke in die Luft, und der
Witwe vergingen Hören und Sehen und alle Sinne. Plötzlich waren
die Bockreiterinnen im Stamser Stiftskeller, in welchem mächtig große
Fässer voll Wein lagen. Die Gefährtinnen geboten der Witwe,
sich ganz still zu verhalten, sie wollten sich einen Jux machen und tapfer
zechen, aber die Witwe überhäufte sie mit Vorwürfen. Plötzlich
verschwanden jene samt den vier Böcken, und die Witwe sah sich beim
Schimmer der Kellerlampe ohne Kleider, nackt. Laut rief sie um Hilfe,
hielt aber die Kellertüre zu und bat, ihr erst ein Gewand zu reichen;
dies erhielt sie auch, wurde aber von den Dienern für eine Weindiebin
gehalten. Indes klärte dieser Irrtum sich bald auf, da die Witwe
vielen bekannt war; aber um so mehr befremdete ihre Anwesenheit im Stiftskeller.
Daheim war die Witwe gar nicht verreist gewesen, denn sie lag anscheinend
krank in ihrem Bette, ohne jedoch zu reden. So sah sie selbst ihre eigene
Gestalt täuschend ähnlich liegen, sie stürzte auf dieselbe
zu und riß sie am Gewande, welches dasselbe war, dessen die Unholdinnen
sie im Stiftskeller beraubt hatten; da verschwand alsbald das Blendwerk.
Jetzt zeigte die Witwe ihre drei Freundinnen beim Gericht an, diese leugneten
zwar Stein und Bein, mußten aber doch bekennen und dann brennen,
und zwar wie jedes Hexenurteil lautete: Von Rechts wegen.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 136