Der Hexenreiter

Eine gute halbe Stunde von Reutte liegt Pflach; dort wohnte ein Bauer, der mochte es wohl mit einer oder mit mehreren Hexen seines Ortes übel versehen haben, denn es wurde demselben greulich mitgespielt. Nach einem sauren Arbeitstage lag Benedikt, so hieß der Bauer, bereits zu Bette, als ihn das Klingeln seiner Ziegenglocken vor der Haustür aufweckte; er dachte nicht anders, als, sie seien aus dem Stalle, der vielleicht aus Fahrlässigkeit offengeblieben, entkommen. Schnell sprang er vom Lager, kleidete sich nur wenig an und trat vor das Haus. Doch kaum hatte Benedikt des Hauses Schwelle überschritten, so fuhr eine Schar Hexen auf ihn ein, sie rissen ihn beim Haar mit sich fort in ungeheurer Schnelle und in eine tiefe Wildnis, in der ein Feuer flammte; dort beschlugen sie ihm Hände und Füße mit in jenem Feuer glühend gemachten Hufeisen, legten ihm einen Pferdezügel an, setzten sich auf ihn, geißelten ihn, und von einer unerklärlichen Macht getrieben, gewann er so viele Kraft, seine Reiterinnen samt und sonders bis zur höchsten Spitze des Säulings zu tragen, schier 7000 Fuß hoch; auf jenen Berg, von dem die Sage geht, daß der Römerherrscher Julius Cäsar, nachdem er bei Füssen zu Roß über den Lechschlund gesprengt sei, am Säuling ein Wildbad besucht habe. Der arme Benedikt war fast tot von diesem Hexenrittt, mußte aber nun, an einen Pfahl gleich einem Roß gebunden, mit ansehen, welch wüstes Gelage und welch scheußliche Tänze auf dieser Höhe stattfanden. Es waren lauter Teufel da, die mit den Hexen tanzten, schmausten und zechten; und als der Spuk vorüber war, mußte Benedikt wieder Pferd sein und nicht minder schnell abwärtsrennen, als er aufwärtsgerannt war. Noch aber war Pflach mit seinem alten Kniepaß, allwo es sich für die Knie sehr übel passiert, nicht erreicht, da begann von der Glocke zu Breitenwang das erste Gebetläuten. Hui! fuhren die Hexen zeternd davon, fielen die Hufeisen ab von den Händen und Füßen Benedikts, und auf einmal lag er vor seiner Haustürschwelle, hingestreckt durch Hexenzauber. Seitdem hat der Benedikt ein seltsam närrisches Wesen angenommen, reitet über die steilsten Steingerölle und Steinrutschen mit größter Leichtigkeit, wobei er sich auf seinen Stock wie auf ein echtes Steckenpferd setzt, und übt diese Kunst besonders dann, wenn er etwas einzuschmuggeln hat und die Grenzjäger ihm auf der Ferse sind, von denen ihm aber noch keiner hat beikommen können, denn der Benedikt setzt sich alsbald auf seinen Stock und reitet auf demselben wie auf einem Zauberpferd über Berg und Tal auf und davon.

Vom Volke erhielt er den stehenden Namen "der Hexenreiter", was freilich, auf sein erstes Abenteuer angewendet, sprachlich nicht paßt, sintemal Benedikt nicht ein Hexenreiter, sondern ein Hexen-Gerittener ist.

Übrigens erinnert diese allbekannte Volkssage lebhaft an jene von dem Teufelshufeisen, welche L. Bechstein erzählt.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 145